Bernhard Schlink : Das späte Leben

Das späte Leben
Das späte Leben Originalausgabe Diogenes Verlag, Zürich 2023 ISBN 978-3-257-07271-6, 240 Seiten ISBN 978-3-257-61456-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Bei einem 76 Jahre alten emeritierten Professor wird Krebs diagnostiziert. Er kann allenfalls noch ein halbes Jahr Leben erwarten. Was kann er in der verbleibenden Zeit noch für seine Ehefrau und seinen sechs Jahre alten Sohn tun? Heimlich versucht er Weichen für sie zu stellen – bis er begreift, dass er sich damit übergriffig verhält und loslassen muss.
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Kritik

Mit seinem melancholischen Roman "Das späte Leben" bietet Bernhard Schlink eine zum Nachdenken anregende Lektüre. Er schreibt ruhig, nüchtern und schnörkellos. Der Plot ist einfach. Die Figuren bleiben bis auf den Protagonisten farblos. Triviales wechselt mit Tiefsinnigem.
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Die Diagnose

Martin Brehm, ein 76 Jahre alter emeritierter Jura-Professor [in Berlin?], erfährt nach ärztlichen Untersuchungen, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist und allenfalls noch ein halbes Jahr leben wird.

Seine Ehefrau Ulla wuchs auf einem Bauernhof in Kirchbostel bei Walsrode auf, der noch immer von ihrer Großmutter und ihrer Mutter betrieben wird. An ihren Vater Egon Fork kann Ulla sich nicht erinnern, denn er verließ die Familie, als sie eineinhalb Jahre alt war, und sie hat nie wieder etwas von ihm gehört. Mutter und Großmutter behaupten, er habe nichts getaugt. Ulla studierte zunächst Landwirtschaft, aber mit Ende 20 beschloss sie, den Bauernhof nicht zu übernehmen und absolvierte noch ein Studium der Kunstgeschichte. Inzwischen ist sie 43 und arbeitet erfolgreich als Malerin.

Vor zwölf Jahren lernte sie über eine Freundin, die zu Professor Brehms Studentinnen gehörte, den 33 Jahre älteren Juristen kennen – und heiratete ihn. Ihr Sohn David ist jetzt sechs Jahre alt.

Den Vater schmerzt es, dass er Davids Einschulung nicht mehr erleben wird.

Warum sollte David sich an ihn erinnern? War es seine Eitelkeit, die nicht ertrug, dass er vergessen wurde? War es seine Eitelkeit, die nicht ertrug, dass er starb? Dass er getilgt wurde, zuerst aus dem Leben, dann aus dem Gedächtnis?

Heimlichkeiten

Fünf Wochen nachdem Martin die Krebsdiagnose bekommen hat, will er Ulla im Atelier überraschen und mit ihr in einem Restaurant zu Mittag essen. Doch bevor er das Haus erreicht, kommt Ulla herausgerannt, umarmt stürmisch den Fahrer eines in zweiter Reihe wartenden BMW und steigt ein.

Ein befreundeter Polizeibeamter besorgt Martin den Namen des Fahrzeughalters: Peter Gundolt. Der 50 Jahre alte Architekt wohnt in einem Loft und beschäftigt sich mit Stadtplanung. Martin beschließt, Ulla nicht zur Rede zu stellen.

Er weiß, dass sie noch immer unter dem Eindruck leidet, dass ihr Vater sie als Kleinkind verließ und keinerlei Interesse für sie zeigte. Martin beauftragt eine Privatdetektei, den Mann aufzuspüren. Egon Fork starb vor 30 Jahren an Krebs, elf Jahre nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau und seiner Tochter Ulla. Zuletzt hatte er in einem Dorf unweit von Kirchbostel mit einer bei der Fürsorge beschäftigten Frau zusammengelebt und in einer Schreinerei gearbeitet.

Heimlich fährt Martin mit dem Zug nach Hannover, nimmt sich einen Leihwagen und spricht mit Egon Forks letzter Lebensgefährtin. Von ihr erfährt er, dass der Mann seine erste Familie nicht freiwillig verließ, sondern von seiner Schwiegermutter mit der Anschuldigung, sich an seiner kleinen Tochter vergangen zu haben, vom Hof gejagt wurde. Egon sei ein grundanständiger Mensch, aber kein Kämpfer gewesen, meint die Frau.

Martin fährt weiter nach Kirchbostel, trifft dort aber nur Ullas Großmutter an, eine kluge und ebenso harte Frau, die es nach wie vor für richtig hält, den in ihren Augen unnützen Schwiegersohn mit einer falschen Anschuldigung fortgejagt zu haben.

Wieder zurück, berichtet Martin seiner Frau, was er über Egon Fork herausfand, denn er möchte, dass sie nicht länger in der Annahme lebt, ihr Vater habe sie nicht geliebt.

Ebenso heimlich wie nach Niedersachsen fährt Martin zu der Adresse von Peter Gundolt. Der berichtet, dass er Ulla bei einer Vernissage begegnete und dann seinen Kauf eines Gemäldes bei einem Mittagessen mit ihr feierte. Es blieb nicht bei einem Restaurantbesuch, und es wurde mehr daraus – bis Ulla vor einer Woche Schluss machte und ihm erklärte, sie müsse sich nun voll und ganz um ihren sterbenden Ehemann kümmern. Martin appelliert an Peter Gundolts Verantwortungsbewusstsein:

„Mich interessiert nicht die Vergangenheit, mich interessiert die Zukunft. Die von Ulla und die von David.“
„Und ich?“
„Wie Sie ins Spiel kommen? Sie sind schon drin. Man übernimmt Verantwortung, wenn man in eine Ehe einbricht. Wenn man n das Leben von anderen eindringt und es verändert.“

Später bezweifelt Martin, ob sein Besuch bei Peter Gundolt sinnvoll war:

Seine Vorstellung, er könnte Gundolt in die Rolle des künftigen Ersatzvaters einweisen, war töricht gewesen.

Loslassen

In mehreren Etappen hat Martin einen langen Brief mit Ratschlägen für seinen Sohn geschrieben, den dieser in vielleicht zehn Jahren, also mit 16, lesen soll. Ulla kritisiert ihn:

„Ich habe den Brief gefunden, den du ihm geschrieben hast. Er soll denken, wie du denkst, über Gott und über die Liebe, über alles.“

„David ist dein Sohn, sag nicht, du weißt das nicht. […] So kann es nicht bleiben, Martin, so kann es nicht bleiben. David muss dich loslassen, er muss sich finden – und mich. […] Warum willst du David noch nach deinem Tod festhalten? Es macht mir Angst.“

Schließlich nimmt Martin sich vor, nicht länger zu versuchen, Weichen für Ullas und Davids Zukunft zu stellen.

Er musste aufhören. Es war nicht an ihm, wie es mit David und Ulla weiterging. Nichts mehr war an ihm, und er musste seinen Frieden damit machen.

Zu dritt nehmen sie sich ein Hotelzimmer an der Ostsee. Dort beobachtet Martin, wie sich sein schüchterner Sohn mit Kindern von Touristen anfreundet.

[David] bekam Farbe, wurde kräftiger und lebhafter. Weil er länger da war als die anderen Kinder, sich besser auskannte und mehr erlauben konnte, hatte sein Wort für die anderen Kinder ein Gewicht, dass es im Kindergarten nicht hatte.

Als Martin merkt, wie er schwächer wird und dass die Wirkung der Schmerzmittel nicht mehr ausreicht, telefoniert er mit seinem Arzt und bittet ihn, ein Bett in einer palliativmedizinischen Einrichtung für ihn zu besorgen. Ulla meint zwar, sie werde Martin pflegen, aber er will nicht vor Davids Augen sterben, sondern sich rechtzeitig von ihm verabschieden.

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In seinem Roman „Das späte Leben“ versetzt sich Bernhard Schlink in die Lage eines 76 Jahre alten Mannes, bei dem Krebs diagnostiziert wird. Er kann allenfalls noch ein halbes Jahr Leben erwarten. Was kann er in der verbleibenden Zeit noch für seine 33 Jahre jüngere Ehefrau und seinen sechs Jahre alten Sohn tun? Heimlich versucht er Weichen für sie zu stellen – bis er begreift, dass er sich damit übergriffig verhält und loslassen muss.

Mit „Das späte Leben“ bietet Bernhard Schlink eine zum Nachdenken anregende melancholische Lektüre. Er schreibt ruhig, nüchtern und schnörkellos. Der Plot ist einfach. Die Figuren bleiben bis auf den Protagonisten farblos. Triviales wechselt mit Tiefsinnigem. Den langen Brief, den der Sterbende für seinen Sohn schreibt, hätte sich Bernhard Schlink besser gespart, denn was er über Liebe und Tod, Gott und Gerechtigkeit zu sagen hat, geht nicht über Binsenweisheiten hinaus.

Den Roman „Das späte Leben“ von Bernhard Schlink gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Ulrich Noethen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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