Mario Vargas Llosa : Die Enthüllung
Inhaltsangabe
Kritik
Skandal
Die Handlung spielt in den Neunzigerjahren in Lima, als Peru unter Anschlägen und Entführungen durch den „Leuchtenden Pfad“ und „Túpac Amaru“ leidet.
Rolando Garro, der Herausgeber der Wochenzeitschrift „Enthüllt“, eines Revolverblatts, das vor allem Leute durch den Schmutz zieht, legt dem reichen Minenbesitzer Enrique („Quique“) Cárdenas Sommerville Fotos vor, von denen er bis zu dieser Minute nichts ahnte. Vor zwei Jahren war er bei einer Gesellschaft in Chosica, die – für ihn unerwartet – in einer Orgie mit Kokain und Prostituierten ausartete. Dabei wurden die kompromittierenden Fotos heimlich aufgenommen.
Quique ist verzweifelt, weil er wegen des einmaligen Ausrutschers nicht nur um sein Ansehen fürchtet, sondern sich vor allem auch Sorgen um seine Ehe macht, denn Marisa weiß nichts von der Orgie in Chosica. Rat sucht er erst einmal bei seinem besten Freund, dem Rechtsanwalt Dr. Luciano Casasbella. Der rechnet mit einem Erpressungsversuch und rät Quique, Rolando Garros nächsten Schritt abzuwarten.
Obwohl Rolando Garro mittellos ist, geht es ihm nicht um persönliche Bereicherung, sondern um sein Wochenblatt. Er schlägt dem Unternehmer ein Geschäft vor.
„Enthüllt ist eine kleine Illustrierte mit geringer Auflage, weil uns die Mittel fehlen, Herr Cárdenas. Aber das könnte sich radikal ändern. Wenn ein Unternehmer von Ihrem Format und Ihrem Ansehen sich entschlösse, in die Zeitschrift zu investieren, würde sie ganz Peru erreichen. Sie wäre unschlagbar, alle Welt würde sie lesen. Darum geht es mir, Herr Ingenieur. […]
Mehr als Ihr Geld interessiert mich Ihr Name, Ihr Ansehen. Wenn Sie sich mit mir zusammentun, wird die Voreingenommenheit der Werbetreibenden und ihrer Agenturen mir gegenüber mit einem Schlag verschwinden.“
Statt besonnen zu reagieren, erklärt der aufgebrachte Unternehmer dem Enthüllungsjournalisten, er werde sich an dem Schmierenblatt nicht die Hände schmutzig machen und wirft ihn hinaus.
Daraufhin veröffentlicht Rolando Garro die Fotos mit einem ausführlichen Bericht seiner Reporterin Julieta Leguizamón. Die Enthüllung schlägt wie eine Bombe ein, und Rolando Garro lässt dreimal nachdrucken. Sogar seriöse Medien greifen den Skandal auf. Marisa ist schockiert, als sie die Fotos sieht und will sich von ihrem Mann trennen.
Mord
Kurz darauf warten Julieta Leguizamón und ihre Kolleginnen und Kollegen vergeblich auf den Herausgeber des Wochenblatts.
Jemand findet seine Leiche. Ein Hauptmann namens Félix Madueño holt Julieta Leguizamón, damit sie den Erstochenen im Leichenschauhaus identifiziert. Das ist nicht einfach, weil man ihm das Gesicht zertrümmert hat.
Julieta macht sich Sorgen, denn sie nimmt an, dass Enrique Cárdenas den Mord in Auftrag gegeben habe, um sich für die Enthüllung zu rächen. Weil ihr Name unter dem Artikel stand, könnte sie auch in Gefahr sein, ebenso wie der Fotograf Ceferino Argüello, von dem die Bilder stammen. Auf jeden Fall müssen sie damit rechnen, arbeitslos zu werden, denn wer soll „Enthüllt“ weiterführen?
In ihrer Not geht Julieta zur Polizei und gibt ihren Mordverdacht zu Protokoll. Wie von ihr erhofft, wird Quique daraufhin festgenommen.
Aber nach ein paar Tagen ordnet der zuständige Richter an, Enrique Cárdenas freizulassen und die Ermittlungen gegen ihn einzustellen.
Juan Peineta
Als Mörder verurteilt wird Juan Peineta, ein 79-jähriger Witwer mit angehender Altersdemenz, der zwei-, dreimal pro Woche in einer Suppenküche aß. Er hatte in Coliseos Gedichte rezitiert, bevor er sich von Celonio Ferrero überreden ließ, als Clown in der Fernseh-Sendereihe „Die drei Juxkanonen“ aufzutreten. Das machte er nur, weil bei seiner Frau Atanasia ein Gehirntumor diagnostiziert worden war und er die erforderliche Behandlung ohne die Gage nicht hätte bezahlen können. Aber Rolando Garro, der damals noch für „Última Hora“ arbeitete, sorgte mit seinen bösartigen Kritiken dafür, dass Juan Peineta entlassen wurde. Und ein halbes Jahr später starb Atanasia.
Seither schrieb Juan Peineta fast jeden Tag Briefe an verschiedene Medien und protestierte gegen die Machenschaften des Enthüllungsjournalisten.
Sein Freund Willy Rodrigo („der Ruletero“) warnte ihn: ein Hauptmann Félix Madueño habe sich nach ihm erkundigt. Bald darauf wurde Juan Peineta verhaftet. Man folterte den Greis und brachte ihn dazu, die Ermordung des Mannes zu gestehen, der sein Leben ruiniert hatte.
„Du gestehst, dass du es warst, der Richter ordnet eine psychiatrische Untersuchung an, und die Ärzte stellen fest, dass du unzurechnungsfähig bist, weil dement.“
„Demenz“, sagte auch der Staatsanwalt. „Statt hinter den Mauern von Lurigancho ein Seniorenheim. Kannst du dir das vorstellen? Pflegerinnen, gutes Essen, ärztliche Betreuung, freier Besuch, jeden Tag Fernsehen und einmal in der Woche Kino.“
„Und das nach deinem Rattenloch […]“
Der Doktor
Drei Männer in Zivil kommen zu Julieta Leguizamón.
„Sie müssen mitkommen, Señorita.“
Im Auto ziehen sie ihr eine Kapuze über den Kopf, damit sie nicht sieht, wohin sie gebracht wird.
Sie kann es kaum glauben, als sie begreift, wer sie holen ließ: es ist der Geheimdienstchef, als dessen Marionette der Staatspräsident gilt. Alle nennen ihn nur den Doktor.
Julieta rekapituliert, was sie über ihn weiß.
Dass er Kadett gewesen war und ein recht zwielichtiger Offizier der Armee, bis zum Militärputsch des Generals Velasco Alvarado am 3. Oktober 1968, als er zum Adjutanten des Generals Mercado Jarrín aufstieg, dem Außenminister der Putschregierung. In dieser Position befand er sich, als die Armee herausfand, dass er spionierte und militärische Geheimnisse an die CIA verriet. Velascos Regime, das sich sozialistisch gab, hatte seine Beziehungen zur UdSSR intensiviert, und in diesen Jahren war die Sowjetunion zum wichtigsten Waffenlieferanten Perus geworden. Der damalige Hauptmann der Artillerie wurde festgenommen, vor Gericht gestellt, verurteilt, aus der Armee entlassen und in ein Militärgefängnis gesperrt. Während er seine Strafe verbüßte, studierte er Jura und machte seinen Abschluss. Aus dieser Zeit stammte sein Spitzname: der Doktor.
Als Anwalt von Drogenbossen brachte er es zu einem Vermögen. Den Höhepunkt seiner Macht erreichte er, als Alberto Fujimori 1990 die Präsidentschaftswahl gegen den Favoriten Mario Vargas Llosa gewann und befürchten musste, das Amt gleich wieder zu verlieren, weil der Sohn japanischer Einwanderer die peruanische Staatsangehörigkeit nur aufgrund einer gefälschten Geburtsurkunde und eines ebenfalls gefälschten Taufscheins besaß.
Der Doktor agierte prompt und genial. Innerhalb weniger Tage verschwanden alle Hinweise auf eine Fälschung, und die Offiziere der Marine, die es herausgefunden hatten, wurden bestochen oder eingeschüchtert, damit sie den Mund hielten und die Beweise zerstörten. Sie kamen nie ans Licht. So wurde etwa, völlig mysteriös, die Seite mit dem Taufeintrag im Kirchenbuch herausgerissen und ward nicht mehr auffindbar. Seit damals war der Doktor die rechte Hand von Fujimori und, als Chef des Geheimdienstes, mutmaßlich auch Drahtzieher der schlimmsten Verbrechen, ob Drogenhandel, Waffenhandel, Raub oder politischer Mord, wie dies seit fast zehn Jahren in Peru praktisch an der Tagesordnung war.
Der Doktor fragt Julieta, wie Rolando Garro in den Besitz der Fotos von der Orgie in Chosica gekommen sei. Sie berichtet, ihr Kollege, der Fotograf Ceferino Argüello habe sie für einen Ausländer geknipst. Der Auftraggeber sei dann aber spurlos verschwunden, und Ceferino Argüello habe vergeblich auf das versprochene Honorar gewartet. Zwei Jahre später habe er ihr die Fotos gezeigt und sie auf ihren Rat hin Rolando Garro übergeben.
„Er versteht mehr von solchen Dingen als wir beide. Vielleicht hilft er dir, deine paar Sol zu verdienen.“
Nun erfährt Julieta, dass Rolando Garro heimlich für den Geheimdienstchef arbeitete und in dessen Auftrag missliebige Personen ruinierte. Als er versuchte, den einflussreichen Minenbesitzer zu erpressen und dann die kompromittierenden Fotos in „Enthüllt“ veröffentlichte, verstieß er gegen eine ausdrückliche Anordnung des Doktors. Deshalb musste er sterben. Der Drahtzieher weiht Julieta in das Geheimnis ein, denn er will, dass sie als neue Herausgeberin „Enthüllt“ weiterführt, anstelle von Rolando Garro für ihn arbeitet und weiß, dass sie seine Befehle auszuführen hat, wenn sie nicht wie ihr ehemaliger Chef enden möchte.
„Ich möchte wirklich nicht, dass dir das Gleiche passiert wie Rolando Garro.“
Die Enthüllung
Nachdem sich Julieta mit ihren Kolleginnen und Kollegen abgestimmt hat, bereitet die Redaktion eine Sonderausgabe von „Enthüllt“ vor. Angeprangert wird niemand anderes als der allmächtige Geheimdienstchef. Die Anschuldigung, er habe den früheren Herausgeber ermorden und als Sündenbock einen unschuldigen Greis einsperren lassen, untermauert Julieta mit Abschriften von Tonbandaufnahmen, die sie bereits der Staatsanwaltschaft übergeben hat. Bei der zweiten Begegnung und allen weiteren Treffen mit dem Doktor trug sie im BH zwischen den Brüsten ein Aufnahmegerät.
Nicht nur der Doktor und Alberto Fujimori werden zu langen Haftstrafen verurteilt, sondern auch Abimael Guzmán, der Anführer der Terrororganisation „Leuchtender Pfad“, und Víctor Polay von den Túpac Amarus.
Julieta Leguizamón erhält nach dem Scoop eine eigene Fernsehsendung.
Happy End
Marisa verzeiht Quique sein Fehlverhalten bei der Orgie in Chosica und versöhnt sich mit ihm. Sie gesteht ihrem Mann, dass sie seit einiger Zeit mit ihrer Freundin Chabela Sex habe. Chabela ist die Ehefrau seines Freundes Luciano Casasbella. Die Vorstellung, den beiden schönen Frauen dabei zuzusehen, erregt Quique.
Chabela ist entsetzt, als sie hört, dass Quique ihr Geheimnis kennt. Aber dann lässt sie sich darauf ein, mit Marisa und Quique übers Wochenende nach Miami zu fliegen. Und dort treiben sie es erstmals zu dritt.
Als die beiden befreundeten Ehepaare drei Jahre nach dieser Premiere zusammen essen und erneut von einem Ausflug nach Florida die Rede ist, erklärt Luciano gut gelaunt, er werde mitkommen und den Jahrestag mitfeiern. Offenbar hat Chabela ihm inzwischen alles erzählt.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Den Roman „Die Enthüllung“ von Mario Vargas Llosa kann man als Politthriller lesen.
Die Handlung spielt Ende der Neunzigerjahre in Lima, also in der Zeit des peruanischen Staatspräsidenten Alberto Fujimori und seines übermächtigen Geheimdienstchefs Vladimiro Lenin Montesinos Torres (1990 ‒ 2000). Das Regime bekämpfte politische Gegner nicht zuletzt durch rufschädigende Schmutzkampagnen. Mario Vargas Llosa erzählt in seinem Roman „Die Enthüllung“, wie sich „der Doktor“ – also Montesinos – dabei einer Wochenzeitung bedient, die nach seinem Geheiß Pressekampagnen gegen unliebsame Personen führt. Im Buch werden Fujimoro und der Doktor durch eine beherzte Enthüllungsjournalistin mit einem versteckten Aufnahmegerät zu Fall gebracht. In Wirklichkeit sorgte ein oppositioneller Kongressabgeordneter ‒ Fernando Olivera Vega ‒ im September 2000 für die landesweite Ausstrahlung eines Videos, das eine Schmiergeldzahlung des Geheimdienstchefs bewies. Alberto Fujimori setzte sich zunächst nach Japan ab und erklärte von dort am 17. November seinen Rücktritt. Er wurde 2005 in Santiago de Chile festgenommen, 2007 an Peru ausgeliefert und ebenso wie Vladimiro Montesinos in einer Reihe von Gerichtsverfahren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Mario Vargas Llosa erwähnt in seinem Roman „Die Enthüllung“ auch mehrfach die Guerilla- bzw. Terrororganisationen „Sendero Luminoso“ („Leuchtender Pfad“) und „Movimiento Revolucionario Túpac Amaru“. Bei den jahrzehntelangen Auseinandersetzungen sollen 70 000 Menschen ums Leben gekommen sein.
Dass Mario Vargas Llosa bei den Präsidentschaftswahlen 1990 in Peru zwar zunächst die meisten Stimmen bekam, aber in der Stichwahl von Alberto Fujimoro besiegt wurde, verleiht seinem Politthriller „Die Enthüllung“ einen persönlichen Bezug.
Eine autobiografische Komponente wird auch sichtbar, wenn der Autor die Boulevardpresse angreift und „Die Enthüllung“ um eine Wochenzeitung in Lima kreisen lässt, die im Auftrag des Geheimdienstchefs politische Gegner in den Schmutz zieht. 2015 geriet nämlich Mario Vargas Llosa selbst ins Visier der Klatschpresse, weil sich der 79-Jährige nach 50 Jahren Ehe von seiner Ehefrau und Cousine Patricia scheiden ließ und mit Maria Isabel Preysler Arrastia turtelte, der Ex-Frau des Sängers Julio Iglesias. Eine noch stärkere Rufschädigung drohte, als der Name des Nobelpreisträgers im Zusammenhang mit den 2016 veröffentlichten Panama Papers genannt wurde.
Mario Vargas Llosa hat weit bessere Romane als „Die Enthüllung“ geschrieben. Das Buch lässt sich leicht lesen und bietet eine durchaus unterhaltsame Lektüre, aber das liegt am Plot, der trotz politischer Bezüge als schlicht bezeichnet werden muss. Die Figuren wirken klischeehaft. In einem längeren Kapitel („Im Wirbel“) wechselt Mario Vargas Llosa von Absatz zu Absatz zwischen fünf verschiedenen Handlungssträngen hin und her, ohne dass es stilistisch oder inhaltlich Sinn machen würde. Und die ausgewalzten Sexfantasien sind nur peinlich.
Den Roman „Die Enthüllung“ von Mario Vargas Llosa gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Hanns Zischler.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag
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