Siegfried Lenz : Brot und Spiele

Brot und Spiele
Brot und Spiele Originalausgabe Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1959 Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021 ISBN 978-3-455-01133-3, 242 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Bert Buchner wollte eigentlich Veterinärmedizin studieren, aber als nach dem Zweiten Weltkrieg sein Talent als Läufer entdeckt wird, setzt der Egoist alles auf die Sportler-Karriere − und scheitert am Ende sowohl sportlich als auch menschlich. Siegfried Lenz überlässt das Wort einem Ich-Erzähler, einem Reporter, der den Weg des Mannes verfolgt, mit dem er jahrelang befreundet ist bzw. war.
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Kritik

Mit einem 10-Kilometer-Lauf beginnt und endet "Brot und Spiele"; der Wettkampf stellt die zwischendurch immer wieder eingeblendete Rahmenhandlung dar. Was davor geschah, erfahren wir in Rückblenden. Dass Siegfried Lenz ohne Absätze schreibt, entspricht der Situation der Athleten beim Dauerlauf, die auch keine Verschnaufpause einlegen können.
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Der erste Lauf

Bert Buchner desertiert am Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem Kameraden. Als Victor von Schüssen getroffen wird und nicht mehr aufstehen kann, drängt er Bert, bis dieser ihn mit dem Seitengewehr ersticht. Bald darauf gerät Bert im Nordwesten von Schleswig-Holstein in britische Kriegsgefangenschaft. Bei der Festnahme auf einer Brücke sehen er und der Ich-Erzähler (dessen Namen wir nicht erfahren) sich zum ersten Mal.

Zwei Posten verfolgen und beschießen Bert, als dieser aus dem Lager flieht. Der Autor sieht ihn zum ersten Mal rennen.

Hafensportverein

Nach der Freilassung fängt der Ich-Erzähler als Reporter bei einer Zeitung an und trifft zufällig auch Bert wieder, der jetzt als Bote bei einer Essigfabrik arbeitet und eine Abendschule besucht, um das Abitur nachzuholen und später Veterinärmedizin studieren zu können.

Der Reporter nimmt Bert mit zur Vereinsmeisterschaft des Hafensportvereins, und Krohnert, der Vorsitzende, überredet den Gast, beim Dauerlauf mitzumachen. Bert siegt, gewinnt jedoch keinen Pokal, weil die Trophäe Vereinsmitgliedern vorbehalten ist. Die Funktionäre bringen den augenscheinlich herausragenden Läufer dazu, sich dem Verein anzuschließen und bieten ihm dafür den Posten des Hausmeisters und ein Zimmer.

Sportkarriere

Bert verschiebt zunächst das geplante Studium und gibt es dann ganz auf. Er setzt nun alles auf die Karriere als Läufer.

Der Hafensportverein schickt Bert zu einem Trainingslehrgang in Süddeutschland. Als ihn dort seine Freundin Thea besucht und frische Hemden mitbringt, ist er gerade mit Carla unterwegs, der Ehefrau von Dr. jur. Uwe Gallasch, dem Schriftführer des SV Viktoria, mit der er eine Affäre angefangen hat.

Der Ich-Erzähler, der seinen Freund Bert zum Spezialtraining begleitet hat, lässt sich am Rücken operieren. Als Kriegsgefangener musste er Minen suchen. Eine Explosion zerfetzte ihm die Hand. Niemand merkte damals, dass außerdem ein Splitter in den Rücken eingedrungen war. Der muss jetzt entfernt werden.

Im Krankenhaus hört der Patient eine Radio-Reportage über einen weiteren siegreichen Lauf Berts und erfährt dabei zugleich, dass der Sportler zum SV Viktoria gewechselt ist.

Zur Rede gestellt, meint Bert, der Hafensportverein habe zwar viel für ihn getan, aber der SV Viktoria böte bessere Möglichkeiten. Außerdem avancierte er zum Geschäftsführer eines vereinseigenen Sportartikel-Geschäftes.

Ein US-amerikanischer Leichtathletik-Verband lädt den erfolgreichen Läufer ein, und Bert gewinnt sowohl in Los Angeles als auch im Madison-Square-Garden in New York.

Absturz

Bert wird als Hauptdarsteller in einem Kulturfilm über den Marathonlauf engagiert, für den der mit ihm befreundete Reporter den Text geschrieben hat. Bei den Dreharbeiten in Norddeutschland beobachtet der Freund, wie Bert in einem Kasino einen Einsatz nach dem anderen verliert.

Bert spielte. Er setzte jedes Mal auf Zero und verlor, vierzehnmal hintereinander. Während des Spiels sprach er nicht ein einziges Wort zu mir. […] Bert machte nicht den Eindruck eines Spielers. Später jedoch, als mehrere Herren ihn begrüßten, gedämpft und höflich begrüßten − später stellte sich heraus, dass Bert ein guter Kunde im Kasino war. Stammkunde. […] Und nachdem Bert alles auf Zero verloren hatte, konnte er auf einmal wieder mit mir sprechen, allerdings war ich nicht in der Lage, ihm zu helfen, nicht einmal mit zwanzig Mark.

Als sich herausstellt, dass Bert wegen seiner Spielschulden im Sportartikel-Geschäft Geld unterschlagen hat bzw. sich einen Vorschuss bewilligte, wie er selbst sagt, tritt ein Ehrengericht des Sportvereins zusammen. Ausgerechnet Uwe Gallasch setzt sich für ihn ein und erreicht, dass der aussichtsreichste Läufer vor den Olympischen Spielen nicht ausgeschlossen wird.

Einige Zeit später wird Bert jedoch mit einem Muskelriss vom Platz getragen und kann deshalb nicht mit zu den Olympischen Spielen fliegen.

Dohrn springt für ihn ein und hilft ihm dann nach der Heilung, sich wieder einzulaufen. Die beiden trainieren zusammen. Auch bei einem Abendsportfest tritt Dohrn mit Bert im Team auf und unterstützt ihn. Als er zum Schlussspurt ansetzt und Bert anfeuert, mit ihm mitzuziehen, tritt dieser zu.

[…] Bert und Dohrn übernahmen gleich die Spitze […]. Sie wechselten sich in der Führung ab. Sie unterstützten einander. Und manchmal glaubte ich zu sehen, wie Dohrn sich zurückhielt, nicht seine ganze Kraft ausspielte, nur um bei Bert zu bleiben: Wie ein Wal bei seinem verwundeten oder gefährdeten Partner bleibt, so blieb Dohrn bei Bert … Dann das Finish; bis zur Tribüne hinauf hörte ich Dohrns Ruf: „Komm mit, Bert!“, sah ihn hervorstürmen und überlegen an Bert vorbeigehen − ah, wie überlegen er ihn überspurtete! −, sah, wie er vor Bert zurückscherte an die Innenkante der Bahn, sich umdrehte und in derselben Sekunde, als ob ihn ein furchtbarer Schlag getroffen hatte, flach aus der Bahn flog mit blitzschnell vorgestreckten Händen, die den Sturz abfangen sollten. Doch bevor er aus der Bahn flog sah ich auch, wie Berts Nagelschuh sich auf die linke Ferse von Dohrn setzte nein, nicht setzte, sondern aus einem verlängerten Schritt berechnet auf sie herabstieß und die Ferse hart und nachdrücklich traf − so, als wollte er sie an den Boden nageln −, was zur Folge hatte, dass Dohrns linkes Bein in langer, verzweifelter Streckung war, während sich sein Körper bereits zum flachen Sturz neigte. Die spitzen Dornen drangen in die Ferse ein. Sie durchstießen die Sehnen, bohrten sich in den Ballen mit der Gewalt, die in Berts verlängertem Schritt lag, und Dohrn flog aus der Bahn und fiel mit dem Gesicht auf den Rasen … Bert gewann den Lauf auf jenem Abendsportfest […]

Man spricht von einem Unfall, aber der Reporter sah, wie Bert absichtlich zutrat. Nach dem Sieg ohrfeigt er ihn wortlos und beendet so die Freundschaft.

Heimlich versucht Bert, vom SV Viktoria zu einem Sportverein in Hannover zu wechseln. Carla Gallasch erfährt davon, verhindert es und sorgt dafür, dass sich der SV Viktoria von ihm trennt.

Als der Ich-Erzähler sie nach einiger Zeit wiedersieht, hat sie einen Alkohol-Entzug hinter sich.

Gleich darauf nimmt er sich vor, ein Buch über Berts Leben zu schreiben.

[…] der Plan, das Leben eines Läufers zu erzählen, Runde für Runde, es soll Berts Leben sein, sein Lauf ums Leben, und ich werde es schreiben, weil ich gezwungen bin, ihn zu verstehen und mich zu verstehen.

Der letzte Wettkampf

Als bei der Europa-Meisterschaft ein Läufer des Hafensportvereins wegen einer Verletzung an der Achillesferse ausfällt und der Trainer Wiegand zufällig Bert als Hilfsarbeiter bei einer Fischverarbeitungs-Fabrik wiedersieht, holt er ihn zurück.

Der Ich-Erzähler verfolgt das Geschehen von der Tribüne aus. Hin und wieder schaut er zu den Kugelstoßern und Weitspringern hinüber, aber sein Augenmerk liegt auf dem 10-Kilometer-Lauf, an dem acht Wettkämpfer teilnehmen. Der Reporter ist überzeugt, dass Bert den Lauf nicht gewinnen kann, aber der setzt sich rasch an die Spitze und vergrößert den Abstand zwischen sich und dem Feld der anderen. Als Zwischenzeiten werden Rekordwerte gemessen. In der Kurve vor der Zielgeraden holen zwei Läufer auf. 70 Meter vor dem Ziel bricht Bert zusammen.

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In seinem Roman „Brot und Spiele“ erzählt Siegfried Lenz vom Aufstieg und Absturz eines Leichtathleten. Bert Buchner wollte eigentlich studieren und Veterinärmediziner werden, aber als nach dem Zweiten Weltkrieg sein Talent als Läufer entdeckt wird, setzt der Egoist alles auf die Sportler-Karriere − und scheitert am Ende sowohl sportlich als auch menschlich.

Siegfried Lenz überlässt das Wort einem namenlosen Ich-Erzähler, einem Zeitungsreporter, der den Weg des Mannes verfolgt, mit dem er jahrelang befreundet ist bzw. war. Auch als Bert Buchner unerwartet noch einmal von seinem alten Sportverein als Ersatz für einen verletzten Läufer bei der Europa-Meisterschaft an den Start geschickt wird, beobachtet ihn der Reporter von der Tribüne aus.

Mit diesem letzten 10-Kilometer-Lauf beginnt und endet „Brot und Spiele“; der Wettkampf stellt die Rahmenhandlung dar, die zwischendurch immer wieder eingeblendet wird. Was davor geschah, erfahren wir in Rückblenden.

Dabei wechselt Siegfried Lenz nahtlos zwischen den Zeitebenen hin und her. Den Übergang markieren lediglich drei Punkte. Absätze oder gar Kapitel gibt es in dem Roman „Brot und Spiele“ nicht. Das entspricht der Situation der Wettkämpfer beim 10-Kilometer-Lauf, die auch keine Verschnaufpause einlegen können, sondern vom Start bis zum Ziel durchhalten sollen.

Dass Siegfried Lenz in „Brot und Spiele“ nicht vor Längen zurückschreckt, dürfte ebenfalls als Parallele zum Dauerlauf gemeint sein.

Trotz dieser Dehnungen deutet er vieles nur an oder spart es ganz aus (literarische Ellipsen).

Die Originalausgabe dieses vierten Romans von Siegfried Lenz erschien 1959. Unter dem Titel „Die frühen Romane“ bot Hoffmann und Campe 1976 „Brot und Spiele“ zusammen mit „Es waren Habichte in der Luft„, „Der Mann im Strom“ und „Stadtgespräch“ an.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © Hoffmann und Campe

Siegfried Lenz (Kurzbiografie)

Siegfried Lenz: Es waren Habichte in der Luft
Siegfried Lenz: Der Mann im Strom (Verfilmung)
Siegfried Lenz: Das Feuerschiff (Verfilmung)
Siegfried Lenz: Deutschstunde
Siegfried Lenz: Die Phantasie
Siegfried Lenz: Das serbische Mädchen
Siegfried Lenz: Fundbüro
Siegfried Lenz: Wasserwelten
Siegfried Lenz: Schweigeminute
Siegfried Lenz: Landesbühne
Siegfried Lenz: Der Überläufer

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