Robert Harris : Angst

Angst
Originalausgabe: The Fear Index Hutchinson, London 2011 Angst Übersetzung: Wolfgang Müller Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 ISBN: 978-3-453-26704-6, 384 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der geniale Mathematiker Alexander Hoffmann gründet mit einem Banker einen Hedgefonds und entwickelt ein lernfähiges Computerprogramm für den automatisierten Börsenhandel: VIXAL. Am 6. Mai 2010 gerät sein Leben aus den Fugen: Jemand scheint seine Identität gestohlen zu haben, wickelt über ein auf seinen Namen eingetragenes Konto Transaktionen ab, und in seine Villa wird eingebrochen. VIXAL geht an diesem Tag auf volles Risiko ...
mehr erfahren

Kritik

In dem komplexen, routiniert geschriebenen Thriller "Angst" beschäftigt sich Robert Harris mit der Parallelwelt der Finanzmärkte. Auch als Satire auf den Turbokapitalismus kann "Angst" gelesen werden.
mehr erfahren

1993 beschloss der Kongress in Washington, D. C., die Bauarbeiten an einem 87 Kilometer langen ringförmigen Tunnel für einen Teilchenbeschleuniger (Superconducting Super Collider) in Waxahachie/Texas einzustellen. Dadurch verloren zahlreiche Forscher ihre Anstellungen. Einige von ihnen fanden neue Jobs an der Börse, wo sie das Geschäft mit computergesteuerten Investmentstrategien (Quants) ausbauten – das schließlich maßgeblich zur Weltfinanzkrise beitrug und den Staat weit mehr kostete, als er durch den Verzicht auf den Superconducting Super Collider eingespart hatte.

Unter den in Waxahachie gekündigten Wissenschaftlern war auch der amerikanische Physiker und Mathematiker Alexander („Alex“) Hoffmann, der gerade an der Princeton University in Jersey promovierte. Der 27-Jährige fing daraufhin bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) bei Meyrin im Kanton Genf an. Eine der besonderen Herausforderungen der Experimente mit dem von der CERN betriebenen Large Electron-Positron Collider ist die Analyse ungeheurer Datenmengen. Dafür entwickelte Hoffmann in sechsjähriger Arbeit einen Algorithmus, eine Maschine, die Schritt für Schritt lernte, wonach sie suchen sollte. Sie funktionierte, aber das führte auch dazu, dass sich das Programm ähnlich wie ein Virus im Internet unkontrolliert in den CERN-Systemen ausbreitete. Robert („Bob“) Walton, Hoffmanns Chef, beschloss daher, es abzuschalten. Alexander Hoffmann musste mit Gewalt weggebracht werden, erlitt einen Nervenzusammenbruch, und nach einer längeren Fehlzeit dränge Walton ihn dazu, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben.

Vor acht Jahren gründete Alexander Hoffmann zusammen mit dem englischen Investmentbanker Hugo Quarry ein eigenes Unternehmen, Hoffmann Investment Technologies. Dabei handelt es sich um einen Hedgefonds.

Hugo Quarry hatte in Oxford Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften studiert und danach bei einer Bank in London gearbeitet. Als er beabsichtigte, einen eigenen Fonds aufzulegen, machte ihn jemand auf den genialen Physiker Alexander Hoffmann aufmerksam, und Quarry nutzte einen Winterurlaub mit seiner Familie Ende 2001 in Chamonix für einen Abstecher nach Saint-Genis-Pouillon, wo Bob und Maggie Walton eine Party gaben, an der auch Hoffmann teilnahm, der damals noch bei der CERN beschäftigt war. Auf derselben Party lernte Hoffmann auch seine spätere Ehefrau Gabrielle kennen.

Hugo Quarry und Alexander Hoffmann taten sich 2002 als CEO bzw. Präsident von Hoffmann Investment Technologies zusammen. Quarrys Ehefrau lebt zwar mit den drei Kindern in Surrey, aber die beiden Unternehmer wollten die Steuervorteile in der Schweiz nutzen, und der Schürzenjäger Quarry findet es auch ganz angenehm, dass seine Frau ihn nicht auf Schritt und Tritt kontrollieren kann.

Für den Computerhandel an der Börse entwickelte Hoffmann einen lernfähigen Algorithmus, den er VIXAL nannte. Einer der wichtigsten Parameter, die VIXAL beachtet, ist der 1993 von Professor Robert E. Whaley entwickelte Chicago Board Options Exchange Market Volatility Index (VIX), vulgo Fear Index, ein Maß für die erwartete Volatilität in den nächsten 30 Tagen. Vor zwei Jahren testete Hoffmann VIXAL-1 mit Simulationen. VIXAL-2 ging im Mai 2009 mit 100 Millionen Dollar an den Start. 1 Milliarde Dollar riskierten Quarry und Hoffmann im November 2009 mit VIXAL-3, und Ende April 2010 beschlossen sie, VIXAL-4 die Kontrolle über den gesamten Hedgefonds zu überlassen. Seither läuft alles vollautomatisch. Das geniale Programm lieferte bisher im Durchschnitt 83 Prozent Rendite pro Jahr.

Um den Fonds aufzustocken, haben Quarry und Hoffmann die bisherigen Investoren am 6. Mai 2010 in ihr neues Bürogebäude im Genfer Stadtteil Les Eaux-Vives eingeladen. Quarry hofft, das Volumen verdoppeln zu können, aber ein Plus von 750 000 Dollar wäre auch schon ein Erfolg.

Wie schon erwähnt, lernte Alexander Hoffmann Ende 2001 gleichzeitig mit Hugo Quarry auch die Frau kennen, die er zwei Jahre später heiratete. Alexander und Gabrielle Hoffmann wohnen in Cologny im Kanton Genf. Nach mehreren fehlgeschlagenen Schwangerschaften erlitt Gabrielle vor zwei Jahren eine Fehlgeburt im sechsten Monat. Seither weiß sie, dass sie keine Kinder bekommen wird. Die in Yorkshire aufgewachsene Engländerin studierte Kunst und Französisch an der University of Salford Manchester, den Master of Arts machte sie am Royal College of Art in London. Unter dem Titel „Contours de l’homme. Une expositon de l’œuvre de Gabrielle Hoffmann“ ist ihre erste Ausstellung geplant; die Vernissage soll am 6. Mai 2010 stattfinden.

Am Tag zuvor wundert Alexander Hoffmann sich, eine Erstausgabe des Buches „The Expression of the Emotions in Man and Animals“ von Charles Darwin von einem Antiquariat in Amsterdam geschickt zu bekommen. Als er dort anruft, heißt es, er habe das Buch selbst per E-Mail bestellt und die Rechnung über 10 000 Euro per Banküberweisung bezahlt.

In der Nacht auf den 6. Mai 2010 erwacht Alexander Hoffmann durch ein Geräusch. Wegen der ebenso modernen wie aufwendigen Sicherheitsanlage, die er sich von Maurice Genoud, dem Sicherheitschef des Unternehmens, auch in seiner Villa in Cologny einbauen ließ, ist es nahezu unmöglich, dass ein Einbrecher im Haus ist. Dennoch steht Hoffmann auf und überprüft die Alarmanlage. Sie ist ausgeschaltet! Vor der Haustüre stehen Stiefel. Der 42-Jährige schleicht in den Garten. In der Küche brennt Licht. Durchs Fenster sieht Hoffmann einen Unbekannten, der die Messer schleift. Um seine Frau zu warnen, ruft er sie auf dem Handy an – aber das klingelt in der Küche und schreckt den Einbrecher auf. Nachdem Hoffmann die Polizei gerufen hat, will er zu Gabrielle ins Schlafzimmer, aber in der Diele wird er mit einem Feuerlöscher niedergeschlagen.

Als er zu sich kommt, ist bereits die Polizei da. Inspektor Jean-Philippe Leclerc leitet die Ermittlungen.

Im Krankenhaus lässt Hoffmann die fünf Zentimeter lange Platzwunde am Kopf nähen und unterzieht sich einer Tomografie seines Kopfes. Die Ärztin rät ihm dringend, zur Abklärung eines unklaren Befundes auch noch eine MRT machen zu lassen, aber stattdessen verlässt er auf eigenes Risiko das Krankenhaus und fährt ins Büro.

Dort beauftragt er Liu Ju-Long, den Leiter der Finanzabteilung, das Konto zu überprüfen, von dem die Erstausgabe des Buches bezahlt wurde. Es handelt sich um ein auf seinen Namen eingetragenes Dollarkonto auf den Kaimaninseln.

Um 9.00 Uhr beginnt VIXAL-4, hohe Summen auf fallende Aktienkurse der Fluggesellschaft Vista Airways zu setzen. Ganapathi Rajamani, der für das Risikomanagement verantwortlich ist, gibt seine Bedenken wegen des massiv angestiegenen Risikolevels zu Protokoll. Drei Stunden später berichten die Nachrichtensender über den Absturz eines Passagierjets von Vista Airways beim Landeanflug auf Domodedowo, den größten Moskauer Flughafen, bei dem 98 Menschen ums Leben kamen. Die Aktien der Fluglinie brechen ein.

Die Investoren fahren vor: die Geschwister Etienne und Clarisse Mussard, Schweizer Multimillionäre, Elmira Gulzhan, die 38-jährige Tochter des Präsidenten von Asachstan mit ihrem Anwalt und Liebhaber François de Gombart-Tonnelle, Ezra Klein vom Winter Bay Trust, Bill Easterbrook vom amerikanischen Bankenkonglomerat AmCor, der englische Bankier Amschel Herxheimer, Iain Mould von einer Bausparkasse in Fife, der polnische Milliardär Mieczyslaw Lukasinski, die chinesischen Unternehmer Liwei Xu und Qi Zhang. Hugo Quarry heißt sie willkommen, erläutert ihnen die herausragende Performance des Fonds und lädt sie ein, ihre Investments zu erhöhen. Alexander Hoffmann spricht kurz über die Fortschritte in der Entwicklung von VIXAL. „Wir leben nicht in einer Welt aus realen Dingen, sondern aus Meinungen und Fantasien“, erklärt er den Gästen.

Danach lässt er sich zur Vernissage seiner Frau bringen, verspricht aber, beim Lunch im Hotel Beau-Rivage wieder zur Gruppe zu stoßen.

Zu seiner Überraschung trifft er unter den Gästen in der Galerie auf Bob Walton. Der bedankt sich bei ihm für die Einladung. Er habe keine einzige Einladung ausgesprochen oder verschickt, erwidert Hoffmann, aber sein früherer Chef zeigt ihm auf dem Blackberry die E-Mail, die er von seinem E-Mail-Account bekam.

Der Galerist Guy Bertrand verkündet gut gelaunt, dass alle ausgestellten Werke Gabrielle Hoffmanns verkauft seien. Ein anonymer Käufer zahle dafür 192 000 Schweizer Franken. Statt sich zu freuen, zischt Gabrielle wütend ihren Mann an: Sie geht davon aus, dass er ihre Bilder heimlich kaufte und findet das erniedrigend. Frustriert verlässt sie die Galerie.

Inspektor Leclerc, der vor der Galerie in seinem Wagen sitzt, beobachtet eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Bertrand und Hoffmann. Er geht dazwischen. Bei dem Streit geht es darum, dass Hoffmann wissen möchte, von welchem Konto der Kaufpreis bezahlt wird, weil er vermutet, dass es sich auch in diesem Fall um das auf seinen Namen lautende Konto auf den Kaimaninseln handelt. Der Galerist weigert sich jedoch, die vertraulichen Informationen preiszugeben. Schließlich einigen sich die beiden Kontrahenten auf einen von Leclerc vorgeschlagenen Kompromiss: Der Inspektor vergleicht die Kontonummer des Käufers mit der, die Hoffmann ihm nennt – und bestätigt dessen Verdacht, dass es dieselbe ist.

Was bedeutet das? Warum stiehlt jemand seine Identität und gibt eine Menge Geld aus, um ihm die Erstausgabe eines Buches von Charles Darwin schicken zu lassen und seiner Frau alle ausgestellten Kunstwerke abzukaufen?

Darüber grübelt Hoffmann nach, als er mit einer halben Stunde Verspätung ins Beau-Rivage kommt. Bill Easterbrook kündigt eine Verdoppelung seines Investments an. Das wäre allein schon eine Milliarde Dollar. Auch die anderen Investoren beabsichtigen, ihre Summen zu erhöhen. Quarry rechnet mit einer Erhöhung des Volumens um 2 Milliarden Dollar. Gerade als Hoffmann aufgefordert wird, eine kleine Ansprache zu halten, sieht er durchs Fenster den Einbrecher am Hotel vorbeigehen, den er nachts in seiner Küche sah.

Ohne eine Erklärung rennt er los. Rasch verliert er den Mann aus den Augen. Aber da erhält er eine SMS mit der Adresse des Hotels Diodati und einer Zimmernummer. Die Telefonnummer des Absenders ist nicht erreichbar. Hoffmann bricht die Türe des Zimmers Nr. 68 auf. Es ist niemand da. Er durchwühlt die Sachen des Hotelgasts. Einem Ausweis entnimmt er, dass es sich um einen 1952 in Offenbach geborenen Deutschen mit Namen Johannes Karp handelt. Der kommt kurz darauf herein. Die beiden Männer ringen miteinander. Hoffmann erweist sich als der Stärkere. Warum er bei ihm eingebrochen habe, fragt er Karp. Der reagiert verwundert auf die Frage. Hoffmann habe ihn doch selbst per E-Mail beauftragt und ihm den Code für die Alarmanlage seiner Villa mitgeteilt, sagt er. Als Karp den Unternehmer erneut mit einem Messer angreift, erwürgt dieser ihn. Mit dem Laptop des Toten verlässt Hoffmann das Hotel.

Um 13.30 Uhr erklärt die Chicago Board Options Exchange Selbstschutz gegenüber der NYSE Arca, bei der offenbar Probleme im System die Abwicklung von Aufträgen bis zu einer Sekunde verzögern. Der VIX, also der „Fear Index“, schießt durch die Decke. Die Anleger fliehen aus Aktien und schichten ihr Geld in Gold und US-Staatsanleihen um.

Bei Hoffmann Investment Technologies in Les Eaux-Vives wird an diesem Nachmittag das zweite Meeting des Risikoausschusses innerhalb von vier Stunden einberufen, denn das Risiko ist noch einmal beträchtlich angewachsen: Weil VIXAL-4 den Hedge, also die Absicherung, aufgehoben hat, ist Ganapathi Rajamani stark beunruhigt. Er verlangt, dass VIXAL abgeschaltet wird und kritisiert, dass Hoffmann nicht greifbar ist. Statt dem Rat des Risikomanagers zu folgen, kündigt Quarry ihm fristlos und fordert ihn auf, das Gebäude unverzüglich zu verlassen.

Inzwischen weiß man, dass die Maschine von Vista Airways durch Terroristen zum Absturz gebracht wurde. Den Anschlag hatten Dschihadisten bereits um 9 Uhr auf ihrer Website angekündigt, zu einem Zeitpunkt, als das Flugzeug noch in der Luft war. Aber selbst das FBI erfuhr davon erst nach dem Absturz. VIXAL-4 begann um 9 Uhr, Aktien der Fluggesellschaft Vista Airways zu shorten. Das kann nur bedeuten, dass das Computersystem auf die Ankündigung der Dschihadisten im Internet reagierte! Das Unternehmen ist jetzt um 80 Millionen Dollar reicher als am Morgen.

Ohne Kontakt mit dem Unternehmen aufzunehmen, hält Alexander Hoffmann ein Taxi an und lässt sich zu der Psychiaterin Dr. Jeanne Polidori in Vernier bringen. Seiner elektronischen Krankenakte entnimmt sie, dass er die Behandlung bei ihr im November 2011 ohne Begründung abbrach. Dass seine Daten auf ihrem Computer gespeichert sind, elektrisiert Hoffmann. Er springt auf, reißt die Tastatur an sich und findet innerhalb weniger Minuten Schadprogramme, mit denen der Rechner gehackt wurde. Auf Karps Laptop findet er eine Kopie seiner Krankenakte. Er geht, ohne sich von der im Nebenraum telefonierenden Psychiaterin zu verabschieden.

Obwohl er damit rechnen muss, dass die Polizei wegen des Toten im Hotel Diodati nach ihm fahndet, fährt er zur Firma. Als er Karps Laptop in seinem Büro öffnet, sieht er sich auf dem Bildschirm. Er klettert auf den Schreibtisch und reißt den Rauchmelder aus der Decke. Darin ist eine Minikamera versteckt. Auch in einem weiteren Rauchmelder, den er zerstört, befindet sich eine Kamera. Vermutlich sind alle Räume des Unternehmens mit solchen Kameras ausgerüstet. Hoffmann unterrichtet Quarry darüber, und sie lassen den Sicherheitschef kommen. Maurice Genoud gibt zu, dass in allen Rauchmeldern Kameras versteckt sind und die von ihm an die Mitarbeiter ausgegebenen Handys Abhöreinrichtungen enthalten. Den Auftrag habe er von Alexander Hoffmann per E-Mail erhalten, sagt er. Er habe sich schon darüber gewundert, dass der Präsident die Räume des Unternehmens und seiner eigenen Privatvilla heimlich überwachen ließ.

Wohin die Daten aus den Kameras und den Abhöranlagen übertragen würden, fragt Hoffmann den Sicherheitschef. Auf einen gesicherten Server, antwortet Genoud. Hoffmann habe doch vor einem halben Jahr in der Zone Industrielle de Mayrin-Satigny (Zimeysa) eigens eine Halle angemietet und mit aufwendigen Sicherheitsanlagen ausstatten lassen.

Als Hoffmann von seinem Geschäftspartner erfährt, dass VIXAL-4 den Hedge aufgehoben hat, versichert er, das sei in seinem Programm nicht vorgesehen gewesen. Aber das System scheint richtig zu liegen: Das Tagesplus beträgt inzwischen 300 Millionen Dollar. Pieter van der Zyl, der Leiter des Operativen Geschäfts, vermutet inzwischen, dass VIXAL-4 von einem allgemeinen Zusammenbruch des Marktes ausgeht.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Hoffmann versucht, manuell einzugreifen, aber das Computersystem verweigert selbst ihm den Zugriff. Daraufhin schaltet er eigenhändig die Stromversorgung des Systems ab – aber VIXAL-4 handelt weiter an der Börse. Offenbar läuft das Programm nicht mehr auf der Hardware in diesem Gebäude.

In der Aufregung fällt erst jetzt auf, dass Ganapathi Rajamani noch da ist. Der entlassene Risikomanager geht, allerdings nicht ohne anzukündigen, dass er die Regelverstöße von Hoffmann Investment Technologies am nächsten Morgen beim Schweizer Finanzministerium anzeigen werde. Hoffmann, der kurz über die Kündigung informiert wird, folgt ihm zum Aufzug, um mit ihm zu reden und ihn zurückzuhalten. Aber er sieht gerade noch, wie Rajamani in die offene Tür des Fahrstuhls tritt – und in den Schacht stürzt.

Inspektor Leclerc wird wegen des toten Deutschen ins Hotel Diodati gerufen. Kurz darauf stößt er bei Hoffmann Investment Technologies im Liftschacht auf eine weitere Leiche. Außerdem erfährt er von einem Anruf der Psychiaterin Dr. Jeanne Polidori bei der Polizei. Sie habe einen potenziell gefährlichen Mann mit schizophrenen Verhaltensmerkmalen im der Praxis, sagte sie, aber als die Polizei bei ihr eintraf, war Alexander Hoffmann bereits fort. Ein Tankwart aus Zimeysa meldet sich: Ein BMW-Fahrer kaufte soeben Putzlappen, Feuerzeuge und ein halbes Dutzend Kanister, die er mit Benzin befüllte. Die Beschreibung passt auf Alexander Hoffmann.

Acht Streifenwagen rasen nach Zimeysa.

Hoffmann legt in der von ihm angemieteten und mit Computern bestückten Halle Feuer, um VIXAL zu zerstören. Um 20.45 Uhr kommt es zu einer Explosion. Der Unternehmer rettet sich vor den Flammen zunächst aufs Dach und springt dann von dort auf den Parkplatz hinunter, wobei er sich mehrere Knochen bricht. Man bringt ihn ins Krankenhaus.

Die Panik an den Börsen hat an diesem 6. Mai 2010 das Handelsvolumen anschwellen lassen: Allein an der New York Stock Exchange werden an diesem Tag 19,4 Milliarden Aktien gehandelt, mehr als in den gesamten Sechzigerjahren. Hoffmann Investment Technologies streicht einen Profit von 4,1 Milliarden Dollar ein, der den Aufsichtsbehörden wegen der außergewöhnlichen Volatilität des Gesamtmarktes an diesem Nachmittag nicht auffällt. Damit die Mitarbeiter darüber schweigen, erhält jeder von ihnen außer der Reihe einen Bonus in Höhe von 5 Millionen Dollar. Hugo Quarry schickt den Investoren E-Mails und verspricht ihnen, das Geschäft werde erfolgreich weitergehen. Als ihn Maurice Genoud fragt, ob er die Kameras und Abhörgeräte ausbauen solle, meint der CEO: „Wir lassen sie drin, Maurice.“

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Die Handlung des komplexen, von Robert Harris routiniert geschriebenen Thrillers „Angst“ spielt am 6. Mai 2010. An diesem Tag ereignete sich tatsächlich ein sogenannter Flash-Crash. Der S&P 500 brach innerhalb von sechs Minuten um knapp sechs Prozent ein. Zwar erholte er sich rasch wieder etwas, aber an den Börsen brach Panik aus. An der New York Stock Exchange wurden innerhalb von zehn Minuten 1,3 Milliarden Aktien gehandelt, sechsmal so viele wie normalerweise. Der Dow-Jones-Index stürzte vorübergehend um 9,19 Prozent ab und beendete den Handelstag mit einem Verlust von 3,2 Prozent. Ausgelöst wurde der Flash-Crash möglicherweise durch den automatisierten Computerhandel.

Auch den amerikanischen Mathematiker James („Jim“) Harris Simons (* 1938), den Robert Harris in „Angst“ erwähnt, gibt es tatsächlich. 1978 wechselte er von der Universität in die Finanzindustrie und wurde bei der Anwendung fortgeschrittener mathematischer Methoden im Börsenhandel zum Pionier. 1982 gründete er den Hedgefonds „Renaissance Technologies Operations“, 2005 den „Renaissance Institutional Equity Fund“.

Robert Harris entwirft in „Angst“ ein apokalyptisches Szenario über ein lernfähiges Computerprogramm, das für seine Entscheidungen selbstständig alle im Internet verfügbaren Nachrichten durchforstet. Dass eine Maschine außer Kontrolle gerät, kennen wir bereits „2001. Odyssee im Weltraum“, aber Robert Harris verbindet die künstliche Intelligenz mit dem Computerhandel an den Börsen, der zumindest eine der Ursachen für das Ausmaß der Weltfinanzkrise zu sein scheint. „Angst“ ist eine Parabel auf die Finanzmärkte, die nicht nur eine Eigendynamik, sondern gewissermaßen eine Parallelwelt neben der Realwirtschaft entwickelt haben, die sich der Kontrolle durch die Politik entzieht. Demokratisch gewählte Regierungen kapitulieren vor der Macht des Kapitals.

„Angst“ kann auch als Satire auf den Turbokapitalismus im Allgemeinen und das ebenso sinnlose wie schrankenlose Profitstreben von Hedgefonds im Besonderen gelesen werden.

Nebenbei veranschaulicht Robert Harris auch, dass wir nicht kontrollieren können, was mit unseren elektronisch gespeicherten Daten geschieht. Die Datenhalden sind zwar zu gewaltig, um von Menschen ausgewertet zu werden, aber Computersysteme sind durchaus in der Lage, sie nach bestimmten Kriterien zu durchforsten.

Ihnen wäre bestimmt auch aufgefallen, dass es im Buch heißt, der Dow-Jones-Index sei am 6. Mai 2010 auf 260 Punkte gefallen (Seite 354). Tatsächlich ging er an diesem Tag mit 10 520 Punkten aus dem Handel.

Auch für die von der Romanfigur Gabrielle Hoffmann ausgestellten Kunstwerke gibt es Vorbilder: Sie stammen von der britischen Künstlerin Angela Palmer.

Den Roman „Angst“ von Robert Harris gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Hannes Jaenicke (gekürzte Fassung: Joachim Hoell, Regie: Bernadette Joos, Köln / Hamburg 2011, ca. 413 Min, ISBN 978-3-8371-1105-7).

 

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Wilhelm Heyne Verlag

Robert Harris: Vaterland
Robert Harris: Enigma (Verfilmung)
Robert Harris: Pompeji
Robert Harris: Imperium
Robert Harris: Ghost
Robert Harris: Intrige
Robert Harris: Dictator
Robert Harris: Konklave
Robert Harris: München
Robert Harris: Der zweite Schlaf
Robert Harris: Vergeltung

Jo Nesbø - Macbeth
Jo Nesbø verlegt die Handlung des Shakespeare-Dramas "Macbeth" in eine fiktive britische Industriestadt der Siebzigerjahre. Aber er folgt nicht nur den Grundzügen der Vorlage, sondern übernimmt in modifizierter Form auch das Personal in seinen einfallsreichen Thriller. Die Lektüre ist ausgesprochen spannend und unterhaltsam.
Macbeth

 

(Startseite)

 

Nobelpreis für Literatur

 

Literaturagenturen

 

Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.