Franz Herre : Napoleon Bonaparte

Napoleon Bonaparte
Erstausgabe: Napoleon Bonaparte. Wegbereiter des Jahrhunderts C. Bertelsmann-Verlag 1988 Überarbeitete Neuausgabe: Napoleon Bonaparte. Eine Biografie Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2003 ISBN 3-7917-1860-6, 416 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In der französischen Armee zu Ruhm gekommen, beseitigt der korsische Advokatensohn Napoleon Bonaparte (1769 - 1821) durch einen Staatsstreich in Paris die Direktorialverfassung und restauriert ein universales Kaisertum in der Tradition Karls des Großen.
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Kritik

Franz Herre liefert ein ausgewogenes Bild Napoleons. Die Biografie ist sachlich und faktenreich, anschaulich, sprachlich geschliffen und sehr gut lesbar.
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Napoleone di Buonaparte wird am 15. August 1769 in Ajaccio geboren. Dort ist sein Vater als Advokat tätig. Franz Herre charakterisiert Carlo di Buonaparte als wichtigtuerisch und großsprecherisch. Die Frau, die er zum Altar führte, Marita Letizia Ramolino, die Tochter eines Brücken- und Straßenaufsehers, galt als schönstes Mädchen der Stadt. „Madame Mère“, wie Napoleon sie später nennen wird, bringt zwölf Kinder zur Welt. Fünf Söhne und drei Töchter überleben den Vater, der 1785 im Alter von achtunddreißig Jahren stirbt. Napoleon, das zweitälteste Kind, gibt in der Geschwisterschar den Ton an.

Gut ein Jahr vor seiner Geburt, am 15. Mai 1768, trat die Republik Genua dem Königreich Frankreich die Souveränitätsrechte über Korsika ab. Als Kind erlebt Napoleon, wie die Freiheit der Korsen durch den französischen Absolutismus unterdrückt wird.

Seine Muttersprache ist italienisch. Erst mit neun lernt er im Collège in Autun (Burgund) einigermaßen französisch. 1779 wird er von der königlichen Militärschule von Brienne (Champagne) aufgenommen, und im Oktober 1784 wechselt er auf die École militaire in Paris, die mehr einem Schloss als einer Kadettenanstalt gleicht. Der mittellose, ungehobelte, kleine und schmächtige Hinterwäldler wird von seinen aristokratischen Mitschülern nicht ernst genommen und bringt es zunächst auch nur zum Secondeleutnant im Artillerieregiment.

Nach einem Korsika-Urlaub vom Herbst 1786 bis ins Frühjahr 1788 kehrt Napoleon zu seinem inzwischen in Auxonne (Burgund) stationierten Regiment zurück. Obwohl er im französischen Militär dient, erhofft er sich heimlich von der im Juni 1789 beginnenden Französischen Revolution die Unabhängigkeit Korsikas.

Statt im Oktober 1789 kehrt Napoleon erst im Frühjahr 1791 von einem weiteren Korsika-Urlaub nach Auxonne zurück, weil jedoch jeder Offizier gebraucht wird, kommt er ohne Disziplinarmaßnahmen davon und wird sogar am 1. Juni 1791 zum Premierleutnant befördert. Ungeachtet einer erneuten Urlaubsüberschreitung bringt er es am 10. Juli 1792 zum Hauptmann.

Zwischendurch versucht Napoleon immer wieder, einen korsischen Aufstand gegen die Herrschaft der Franzosen anzuzetteln, doch es gelingt ihm nicht, und am 11. Juni 1793 muss er mit seiner Mutter und den Geschwistern die Insel verlassen. Nach dem Scheitern seiner korsischen Pläne mutiert er zum französischen Patrioten und ändert seinen italienischen Namen in „Napoléon Bonaparte“.

Als Toulon mit den Engländern gegen die Regierung in Paris zusammenspielt, belagert und erobert Napoleon die Hafenstadt. Dafür wird er zum Brigadegeneral der Artillerie ernannt. Skrupellos versucht er, seine Rivalen durch Bestechungen und Verleumdungen auszustechen. Seine Beziehung zu Augustin Robespierre, dem Bruder Maximilien Robespierres, erweist sich allerdings als verhängnisvoll: Der fanatische Revolutionär stirbt am 28. Juli 1794 unter der Guillotine. Knapp zwei Wochen später wird Napoleon verhaftet und nach Antibes gebracht. Am 20. August kommt er bereits wieder frei.

Im Mai 1795 geht er nach Paris. Dort schlägt der Sechsundzwanzigjährige am 5. Oktober 1795 im Auftrag von Paul de Barras, des Präsidenten des Nationalkonvents, beherzt einen royalistischen Aufstand gegen die neue Direktorialverfassung nieder. Daraufhin wird er zum Divisionsgeneral und kurze Zeit später zum Oberbefehlshaber der Armee im Inneren ernannt.

Als Napoleon der vier Jahre jüngeren Thérèse Tallien den Hof macht, beeilt deren Liebhaber Paul de Barras sich, die Aufmerksamkeit des Korsen auf eine andere Frau zu lenken: auf die von der Antilleninsel Martinique stammende Joséphine, eine geborene Tascher de la Pagerie und verwitwete Vicomtesse de Beauharnais. Napoleon, der stets auf eine Balance zwischen Emotion und Vernunft geachtet hat, begreift, dass er in diesem Fall die Liebe mit dem politischen Nutzen verknüpfen kann, denn Joséphine verfügt über ausgezeichnete Beziehungen zu einflussreichen Leuten. Am 9. März 1796 findet die Ziviltrauung des Paares statt.

Sieben Tage vor der Zeremonie war Napoleon zum Chefgeneral der Italienarmee ernannt worden. Am 11. März reist er an die Front. Seit seinem Sieg über die Österreicher am 10. Mai 1796 bei Lodi hält er sich für etwas Besonderes. Als er von Joséphines Untreue erfährt, bekommen die Österreicher die Wut des gehörnten Ehemanns zu spüren. Am 3. Februar 1797 kapituliert die Festung Mantua. Damit verliert Österreich die Vorherrschaft in Italien an Napoleon. Eigenmächtig und gegen den Willen des Direktoriums in Paris schließt der General nach der Besetzung Roms am 19. Februar 1797 einen Friedensvertrag mit dem Papst.

Um den zunächst unterschätzten Rivalen aus Paris fernzuhalten, schickt ihn Paul de Barras nach Ägypten. Mit drei Dutzend Kriegsschiffen und dreihundert Transportschiffen trifft Napoleon am 1. Juli 1798 in der Bucht von Alexandria ein. Drei Wochen später besiegen die Franzosen das Heer der Mameluken vor den Pyramiden. Als jedoch der britische Admiral Horatio Nelson am 1. August die französische Flotte bei Abukir im Nildelta besiegt, schneidet er Napoleon vom Nachschub ab. Außerdem erklärt der türkische Sultan Frankreich am 12. September den Krieg. Napoleon zieht gegen die Türken in Syrien, erstürmt Jaffa und befiehlt ein Blutbad. Einige tausend Kriegsgefangene lässt er am Strand erschlagen bzw. in die Wellen treiben. Trotz einiger Anfangserfolge gelingt es ihm nicht, die alte Kreuzfahrerfestung Akkon einzunehmen. Napoleon lässt seine Armee im Stich und setzt sich am 23. August 1799 aus Ägypten ab.

Am 9. November 1799 erzwingen Napoleon und seine Anhänger die Auflösung des Direktoriums. Im Senat und im Rat der Fünfhundert spielen sich turbulente Szenen ab, bis auch die beiden Kammern des Parlaments ihren Widerstand gegen den Staatsstreich aufgeben. Entsprechend der neuen, von Abbé Emmanuel-Joseph Sieyès formulierten und durch ein manipuliertes Plebiszit angenommenen Verfassung vom 24. Dezember vereinigt Napoleon als Premierkonsul – flankiert von zwei machtlosen Mitkonsuln in beratender Funktion – die exekutive und legislative Gewalt in seiner Hand. Sowohl das Besitzbürgertum als auch die Großbauern atmen auf: Endlich scheint die Gefahr radikaler Volksaufstände gebannt zu sein. Nach den Wirren der Französischen Revolution sehnen sich viele Franzosen nach einem starken Mann, der die Ordnung wiederherstellt und aufrechterhält. Tatsächlich gelingt es Napoleon, die Staatsfinanzen zu sanieren, die Währung zu stabilisieren und die Wirtschaft neu zu beleben. Durch einen Senatsbeschluss vom 2. August 1802 wird er zum Konsul auf Lebenszeit ernannt.

In dem am 21. März 1804 verkündeten „Code civil des Français“ („Code Napoléon“) werden Errungenschaften der Französischen Revolution festgeschrieben, zum Beispiel die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die Freiheit des Individuums und des Eigentums, die Abschaffung des Zunftzwangs und der feudalen Gesellschaftsstrukturen, die Trennung von Kirche und Staat.

Wie Caesar hat Napoleon als Feldherr Ruhm erworben, sich als Konsul nach oben gekämpft, als Diktator den Staat neu geordnet, und nun greift er nach der Krone. Aber nicht das Erbe der Bourbonen bzw. die französische Königskrone strebt Napoleon an, sondern das universale Kaisertum in der Tradition Karls des Großen. „Empereur par la volonté nationale“ will er werden. Papst Pius VII. wagt nicht, sich dem Ruf des mächtigen Franzosen zu widersetzen: Er reist nach Paris und salbt Napoleon am 2. Dezember 1804 in Nôtre-Dame, bevor dieser sich selbst die Kaiserkrone aufsetzt und anschließend Joséphine krönt. Allerdings hat der Papst ihn vor der Kaiserkrönung zum Nachholen der kirchlichen Trauung überreden können.

Napoleon erhebt die Mitglieder seiner Familie zu Fürsten und führt die alten Adelstitel Herzog, Graf und Baron wieder ein. Joseph Bonaparte, seinen ein Jahr älteren Bruder, macht er zum König von Neapel (1806 – 1808) und später von Spanien (1808 – 1813). Der seit 1802 mit Joséphines Tochter Hortense de Beauharnais verheiratete Bruder Louis Bonaparte wird König von Holland (1806 – 1810). Jérôme Bonaparte, der jüngste Bruder, erhält das Königreich Westfalen (1807 – 1813). Lucien Bonaparte muss sich aufgrund seiner kritischen Einstellung gegenüber Napoleon mit dem Titel eines Fürsten von Canino und Musignano zufrieden geben. Seine Schwester Élisa macht Napoleon zur Großherzogin von Toskana (1809 – 1814). Caroline, die jüngste Schwester, wird an der Seite ihres Ehemanns Joachim Murat zuerst Großherzogin von Kleve und Berg und schließlich Königin von Neapel (1808 – 1815). Pauline ist seit 1803 in zweiter Ehe mit Prinz Camillo Borghese verheiratet und wird an dessen Seite 1806 Herzogin von Guastalla.

Unermüdlich ist Napoleon im Einsatz. Zwar leistet er sich einige amouröse Abenteuer, aber keine Liebesaffären, die ihn zu sehr in Anspruch nehmen würden. Damit er selbst auf Reisen Berichte lesen und seine Korrespondenz bearbeiten kann, ist sein Reisewagen mit einem Schreibpult ausgestattet. Auf gutes Essen legt er keinen Wert; die Nahrungsaufnahme dient ihm nur als Brennstoffnachschub für die Arbeitsmaschine.

Die Arbeit ist mein Element. Ich bin geboren und bin geeignet für die Arbeit. Ich weiß, wann meine Beine den Dienst versagen, ich kenne die Grenzen meiner Sehkraft; die Grenzen meiner Arbeitsfähigkeit kenne ich nicht. (Napoleon, zit. nach Franz Herre, S. 122)

Am 26. Mai 1805 setzt Napoleon sich im Mailänder Dom die Eiserne Krone der Langobarden auf. Doch ein halbes Jahr später wird Frankreich von allen Seiten bedroht: Die britische Flotte vernichtet am 21. Oktober vor Trafalgar, südlich von Cadiz, die französisch-spanische Armada. Admiral Horatio Nelson fällt zwar in der Schlacht, aber der Sieg sichert die britische Seeherrschaft. Ein russisches Heer marschiert nach Westen, und die Österreicher rücken am 8. September in das mit Frankreich verbündete Bayern ein. In Eilmärschen hetzt Napoleon von der Kanalküste an die Donau. Am 2. Dezember besiegt er die Armeen von Kaiser Franz II. und Zar Alexander I. in der „Dreikaiserschlacht“ bei Austerlitz. Zum Dank für seine Hilfe wird der bayrische Kurfürst Maximilian I. Joseph am 1. Januar 1806 zum König erhoben. Franz von Habsburg dagegen muss am 6. August 1806 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation für erloschen erklären und behält nur den österreichischen Kaisertitel, den er zwei Jahre zuvor angenommen hatte.

Preußen ließ Österreich und Russland 1805 im Dritten Koalitionskrieg gegen Napoleon allein. Am 26. September 1806 verlangt König Friedrich Wilhelm III. plötzlich ultimativ von Frankreich den Abzug aus Süddeutschland und für sich selbst freie Hand in Norddeutschland. Dabei ist er militärisch viel zu schwach, um Frankreich ernsthaft zu bedrohen. In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt vernichtet Napoleon am 14. Oktober das preußische Heer. Friedrich Wilhelm III. flieht nach Ostpreußen. Napoleon zieht am 27. Oktober durch das Brandenburger Tor in Berlin ein.

Vier Wochen später verkündet er in der preußischen Residenzstadt die Sperrung sämtlicher Häfen auf dem Kontinent für britische Schiffe und Waren. Damit reagiert Napoleon auf die bereits am 16. Mai verhängte Blockade der Briten gegen alle von den Franzosen kontrollierten Häfen zwischen Brest und Hamburg (Kontinentalsperre).

Unter dem Jubel der Bevölkerung zieht Napoleon am 2. Januar 1807 in Warschau ein. Die Polen erhoffen sich von ihm eine Annullierung der Aufteilung ihres Landes unter Russland, Preußen und Österreich. Aber der französische Kaiser gründet bloß ein Großherzogtum Warschau.

Als der spanische Ministerpräsident Manuel de Godoy im Frühjahr 1808 von einem geplanten Komplott des Kronprinzen Ferdinand erfährt, lässt er ihn mit Billigung von König Karl IV. festnehmen. Anhänger des Kronprinzen stürzen Godoy im März, und Karl IV. dankt zugunsten seines Sohnes Ferdinand ab. Vater und Sohn ersuchen Napoleon, in der Auseinandersetzung zu vermitteln. Napoleon lässt sich nicht zweimal bitten, marschiert mit 300 000 Mann in Spanien ein, um seinem Schiedsspruch Geltung zu verschaffen und bringt Ferdinand dazu, die Krone zurückzugeben. Karl IV. sieht sich gezwungen, sie dem „Vermittler“ weiterzureichen, und der setzt seinen Bruder Joseph als neuen spanischen König ein. (Joachim Murat folgt Joseph Bonaparte auf den Königsthron von Neapel.) Ein Aufstand gegen die französische Fremdherrschaft am 2. Mai 1808 in Madrid eskaliert in einem Unabhängigkeitskrieg, der Napoleons Ansehen in Frankreich und überall in Europa schwer schadet.

Dennoch huldigen ihm Ende September, Anfang Oktober 1808 Johann Wolfgang von Goethe, vier Könige und vierunddreißig Fürsten im Beisein von Zar Alexander I. auf dem Erfurter Fürstentag. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutschen Intellektuellen durch die Fremdherrschaft aus ihrer politischen Gleichgültigkeit gerissen werden. In Frankreich entstand der Nationalismus bereits in den Revolutionskriegen; in Deutschland entzündet er sich erst an der imperialistischen Politik Napoleons. Während sich die Franzosen vor allem als Staatsnation fühlen, verstehen sich die staatlich zersplitterten Deutschen als Mitglieder einer Kulturgemeinschaft, und ihr Freiheitsverlangen richtet sich zuallererst auf die ungehinderte Entfaltung als Künstler und Wissenschaftler. Gegen die wachsende Kritik und den aufkeimenden deutschen Patriotismus unternimmt Napoleon wenig. Ernst Moritz Arndt mag zum Kampf gegen Napoleon aufrufen. Johann Gottlieb Fichte wird nicht daran gehindert, im Winter 1807/08 seine „Reden an die deutsche Nation“ zu halten. Gesangvereine, Schützenvereine, Turnvereine wirken als Transmissionsriemen des aufkeimenden Nationalbewusstseins.

Ermutigt durch die Schwierigkeiten, in die Napoleon durch den spanischen Krieg geraten ist, und in der Hoffnung, damit auch anderen von Frankreich besetzten Staaten ein Fanal zum Aufstand zu geben, erheben sich die Österreicher gegen die französische Fremdherrschaft. Aber niemand steht ihnen bei, und sie unterliegen Napoleon nach anfänglichen Erfolgen am 5./6. Juli 1809 in der Entscheidungsschlacht bei Wagram.

Nachdem der französische Kaiser den Rest des Kirchenstaates annektiert hatte und dafür von Pius VII. exkommuniziert wurde, lässt Napoleon den Papst im Juli 1809 festnehmen und nach Savona verschleppen.

Napoleon verzeiht Joséphine zwar ihre Seitensprünge, da jedoch keine Aussicht mehr besteht, dass die inzwischen sechsundvierzig Jahre alte Frau einen Thronerben zur Welt bringt, lässt er ihr 1809 durch den Polizeiminister ausrichten, dass er sich von ihr zu trennen beabsichtigt. Am 15. Dezember wird die Ehe geschieden. Im folgenden Frühjahr holt Napoleon Marie-Louise, die achtzehnjährige Tochter des österreichischen Kaisers, nach Paris und macht sie mit einer Ziviltrauung am 1. April und einer kirchlichen Zeremonie am nächsten Tag zu seiner Frau. Prompt wird am 20. März 1811 Napoleons einziger legitimer Sohn Napoléon-François-Joseph-Charles („Napoleon II.“) geboren.

Weil sich die Franzosen von Napoleon Gesetz und Ordnung, Ruhe, Frieden und Wohlstand versprochen hatten, war er zum Konsul ernannt und schließlich sogar als Kaiser akzeptiert worden. Mehrmals gab er vor, saturiert zu sein und keine weiteren Eroberungen zu planen, doch immer wieder verlangte er von den Franzosen einen weiteren Feldzug. Seine unbestreitbare Größe entartet zur Hybris, als er gegen alle Einwände seiner Berater einen Krieg gegen Russland beschließt und am 24. Juni 1812 mit der Grande Armée ohne Kriegserklärung den Grenzfluss Njemen (Memel) überschreitet. Die militärische Anstrengung ist gewaltig: Während 230 000 seiner Soldaten in Spanien stehen und viele Zehntausende an mehreren Orten in Europa, zieht Napoleon mit mehr als 600 000 Mann gegen Russland.

Gleich zu Beginn gehen zwei seiner Rechnungen nicht auf: Der türkische Sultan nützt nicht die Gelegenheit zu einem Krieg gegen Russland, sondern schließt mit dem Zaren einen Friedensvertrag. Und der schwedische König versucht nicht, Finnland zurückzuerobern, sondern verständigt sich mit dem Zaren, der ihm als Ausgleich für Finnland das zu Dänemark gehörende Norwegen verspricht.

Napoleon hat mit einem Blitzkrieg gerechnet, denn der Zar verfügt nur über 200 000 Soldaten, aber die weit unterlegenen Russen stellen sich keiner Entscheidungsschlacht; der französische Vormarsch stößt ins Leere und die Nachschub- und Versorgungsschwierigkeiten werden immer größer. Um den Feind trotzdem in die Knie zu zwingen, nimmt Napoleon am 14. September Moskau ein. Der Zar ist auch jetzt nicht bereit, mit ihm zu verhandeln. Weil die Vorräte in der an verschiedenen Stellen durch Brandstiftungen verwüsteten Stadt nicht ausreichen, um zu überwintern, bleibt Napoleon nur der Rückzug. Dabei wählt er den Weg, den er gekommen ist, obwohl die Armee bereits auf dem Hinweg alles kahlgefressen hat. Hunger, Erfrierungen und ständige Angriffe aus dem Hinterhalt dezimieren die Grande Armée. Tausende von Soldaten ertrinken beim Übergang über die Beresina. In der Nacht auf den 6. Dezember stiehlt Napoleon sich davon und trifft zwölf Tage später in Paris ein.

Eigenmächtig schließt Johann David Ludwig von Yorck, der Befehlshaber des preußischen Hilfskorps in Napoleons Russlandarmee, am 30. Dezember in Litauen ein Neutralitätsabkommen mit General Iwan J. von Diebitsch-Sabalkaskij (Konvention von Tauroggen). Dieser Schritt wird für die Patrioten in Preußen zum Fanal für die Erhebung gegen die Fremdherrschaft. Von Zar Alexander I. vor die Wahl gestellt, sich entweder als Bundesgenosse oder als Kriegsgegner zu erklären, verbündet König Friedrich Wilhelm III. sich Ende Februar 1813 mit den Russen und erklärt einen Monat später Frankreich den Krieg.

Währenddessen hat Napoleon eine neue Armee ausgehoben. Am 15. April 1813 verlässt er Paris, am 25. April trifft er in Erfurt ein. Nach Siegen bei Lützen und Groß-Görschen, Bautzen und Wurzen lässt er sich am 4. Juni auf einen Waffenstillstand ein, der es seinen Gegnern erlaubt, ihre Kräfte erneut zu sammeln. Großbritannien, Schweden und Österreich schließen sich den Russen und Preußen im Krieg gegen Napoleon an. Wellington, der englische Oberbefehlshaber auf der iberischen Halbinsel, verdrängt die Franzosen aus Spanien und marschiert auf die Pyrenäen zu. Bei Leipzig prallen die von Schwarzenberg geführte „Böhmische Armee“ (Österreicher, Russen, Preußen), die „Schlesische Armee“ (Preußen, Russen) unter Blücher und die „Nordarmee“ unter dem schwedischen Kronprinzen Jean-Baptiste-Jules Bernadotte am 16. Oktober 1813 mit Napoleons Streitmacht aufeinander. Am 19. Oktober, nach dem Verlust von 80 000 Mann in der Völkerschlacht bei Leipzig, muss sich Napoleon mit den ihm verbliebenen 120 000 Soldaten zurückziehen. Am 10. November ist er wieder in Paris.

Er kann nicht verhindern, dass die Alliierten am 30. März 1814 den Montmartre erstürmen. Zar Alexander I., König Friedrich Wilhelm III. und der österreichische Feldmarschall Fürst zu Schwarzenberg ziehen am nächsten Tag in Paris ein. Der ehemalige französische Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, der nur auf die Gelegenheit zum Sturz Napoleons gewartet hat, erreicht, dass der Senat den Kaiser am 2. April für abgesetzt erklärt. Zwei Tage später dankt Napoleon zugunsten seines Sohnes ab, doch die Kriegsgegner bestehen auf einer bedingungslosen Kapitulation, und er muss seine Verzichtserklärung am 6. April ohne Wenn und Aber wiederholen. In den nächsten Tagen nimmt er zweimal eine Überdosis Opium, ob aus Versehen oder mit der Absicht, seinem Leben ein Ende zu setzen, wissen wir nicht. Er wird nach Elba verbannt. Dort trifft er am 3. Mai ein. Am selben Tag zieht der Bourbonenkönig Ludwig XVIII. in den Tuilerien ein.

Obwohl Napoleon auf Elba von allen hofiert wird, hält er es dort nicht aus. Als er von der zunehmenden Unzufriedenheit der Franzosen mit den neuen politischen Verhältnissen erfährt, verlässt er die Insel am 26. Februar 1815 mit 800 Infanteristen und 100 Kavalleristen, die allerdings noch nicht über Pferde verfügen. Nachdem er an der Côte d’Azur an Land gegangen ist, laufen Regierungstruppen zu ihm über. König Ludwig XVIII. flieht am 19. März aus Paris, und am nächsten Tag wird Napoleon von seinen Anhängern auf Schultern in die Tuilerien getragen. Nachdem er Blücher am 16. Juni bei Ligny geschlagen hat, wirft er sich am 18. Juni bei Waterloo auf Wellington, aber der preußische Feldmarschall hat inzwischen seine Truppen neu geordnet und kommt seinem englischen Verbündeten gerade noch rechtzeitig zu Hilfe: Gemeinsam bezwingen sie Napoleon.

Am 22. Juni 1815 dankt Napoleon zum zweiten Mal ab. Eine Woche später fährt er in Zivilkleidung nach Rochefort, um sich nach Amerika einzuschiffen, aber das britische Kriegsschiff „Bellerophon“ versperrt die Hafenausfahrt. In der Hoffnung auf eine großzügige Behandlung durch die Engländer begibt Napoleon sich freiwillig an Bord der „Bellerophon“ und wird nach Plymouth gebracht. Die britische Regierung verbannt ihn auf die unwirtliche Insel Sankt Helena im Südatlantik. Am 9. August segelt die „Northumberland“ mit dem Gefangenen an Bord los.

Napoleon Bonaparte stirbt am 5. Mai 1821 im Alter von zweiundfünfzig Jahren an einem vermutlich bösartigen Magenleiden. Seine Gebeine werden 1840 nach Paris überführt und im Invalidendom aufgebahrt.

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In seiner Biografie vermeidet Franz Herre jede verklärende Darstellung, er verschweigt weder positive noch negative Eigenschaften Napoleons und liefert ein ausgewogenes Bild dieses korsischen Advokatensohns, dem es gelingt, nach der Französischen Revolution ein universales Kaisertum in der Tradition Karls des Großen wiederherzustellen und das Gebiet zwischen Süditalien, Spanien und dem Baltikum zu beherrschen. Das Genie scheitert letztendlich an seiner eigenen Hybris.

Franz Herres Napoleon-Biografie ist sachlich und faktenreich, anschaulich, sprachlich geschliffen und sehr gut lesbar.

Von Franz Herre gibt es auch eine Biografie Joséphines: „Joséphine. Kaiserin an Napoleons Seite“ (Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2003).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Verlag Friedrich Pustet

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