Martin Suter : Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes
Die dunkle Seite des Mondes Originalausgabe: Diogenes Verlag, Zürich 2000
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Bei Urs Blank handelt es sich um einen erfolgreichen Schweizer Wirtschaftsanwalt, der in eine Midlife-Crisis geraten ist. Da lernt er Lucille kennen, die auf einem Flohmarkt Räucherstäbchen verkauft. Als sie ihn zu einem bewusstseinserweiternden Wochenende einlädt, hofft Urs Blank zunächst auf ein Abenteuer, doch nachdem er von den herumgereichten Pilzen gegessen hat, erlebt er einen Höllentrip, der seine Persönlichkeit dramatisch verändert ...
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Kritik

"Die dunkle Seite des Mondes" ist eine Mischung aus Psychothriller und Wirtschaftskrimi. Martin Suter wechselt nicht nur fortwährend zwischen den Handlungssträngen hin und her, sondern schildert an einigen Stellen auch ein- und dieselbe Szene aus verschiedenen Blickwinkeln.
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Dr. Urs Peter Blank von der Kanzlei „Geiger von Berg Minder und Blank“ gilt als einer der brillantesten Wirtschaftsanwälte in der Schweiz. Seine kinderlos gebliebene Ehe wurde geschieden, und der jetzt Fünfundvierzigjährige lebt seit einiger Zeit mit Evelyn Vogt zusammen, der sieben Jahre jüngeren Inhaberin eines Ladens für Designmöbel.

Im Augenblick ist Blank mit den Fusionsverhandlungen von zwei Textilketten beschäftigt: Die aufgrund eines missglückten Engagements in Russland („Russlandfeldzug“) angeschlagene Firma „Elegantsa“ von Dr. Kurt Fluri will mit „Charade“ zusammengehen. Für „Charade“ führt Hans-Rudolf Nauer im Auftrag des dreiundsechzigjährigen Multimillionärs Pius Ott die Verhandlungen. Als Blank durch eine Indiskretion herausfindet, dass der Immobilienbesitz der „Elegantsa“ vermutlich mit einem viel zu hohen Wert in den Büchern steht, zwingt er Fluri eine Klausel auf, die den Geschäftsmann ruinieren wird, wenn sich der Verdacht bewahrheitet. Genau das ist die Absicht Otts, der beim Militärdienst vor vierzig Jahren Fluris Untergebener war und ihn seither hasst.

Zufällig lernt Blank auf einem Flohmarkt Lucille Martha Roth kennen, eine Dreiundzwanzigjährige, die dort seit drei Jahren Sandelholz, Räucherstäbchen und Tücher aus Indien verkauft. Anfangs heimlich, dann immer unverfrorener trifft Blank sich mit Lucille. Evelyn merkt bald, dass er eine Affäre hat, aber aus Angst, ihn zu verlieren, wagt sie ihn nicht darauf anzusprechen, bis ihre Freundin Ruth Zopp sie nach fünf Wochen dazu drängt. Von Evelyn aus dem Haus geworfen, zieht Blank in ein Hotel und führt das Verhältnis mit Lucille fort. Durch das Zusammensein mit ihr scheint er seine Midlife Crisis überwunden zu haben: Plötzlich fühlt er sich wieder voller Tatendrang.

Nach einiger Zeit lässt er sich von Lucille dazu überreden, einen Joint mit ihr zu rauchen und am folgenden Wochenende fährt er mit ihr zum Fichtenhof bei Dellikon. Dort wohnt ein etwa sechzigjähriger Hippie mit Namen Joe Gasser, der hin und wieder zusammen mit Trudi Frei alias Shiva illegale Trips mit halluzinogenen Pilzen organisiert. Nach einem gemeinsamen Saunagang in einer bei einem Wasserfall in der Nähe stehenden Schwitzhütte versammeln sich die Teilnehmer – Joe und Shiva, Blank und Lucille, die Mittelschullehrerin Susi, der Straßenmusiker Benny Mettler, die Hausfrau Pia und deren Eheman Edwin, ein Bankangestellter – in einem Tipi, reichen getrocknete Pilzstücke herum und beginnen zu kauen. Jeder behält den immer bitterer werdenden Brei so lang wie möglich im Mund und spült dann mit einem Glas Wasser nach, in dem drei Vitamin-C-Brausetabletten aufgelöst sind.

Blank, der sich zuerst recht unwohl fühlte und die Musik störend fand, greift unter dem Einfluss der Droge selbst zu einer Schellentrommel.

Die erste Wirkung, die Blank spürte, war, dass ihm das Trommeln nicht mehr auf die Nerven ging […]
Die nächste Wirkung, die er verspürte, war, dass er selbst spielte. Er hatte plötzlich eine Schellentrommel in der Hand und begleitete die jam session mit wachsendem Selbstbewusstsein.
Auf einmal merkte er, dass er es war, der den Takt angab […] Er war die natürliche, von allen anerkannte Autorität geworden.
Er, Urs Blank […], war plötzlich der Fleisch gewordene Rhythmus geworden. Mit einem Mal verstand er die Musik – alle Musik – in ihrem innersten Wesen. Er spürte die Klänge des Universums, bündelte und fächerte sie zum endgültigen Opus, nach dessen Uraufführung keine Musik mehr möglich sein würde.
Joe hatte schon so oft Pilze genommen, dass es ihm jedes Mal schwerer fiel, auf den Trip zu kommen […]
Der Anwalt, den Lucille, warum auch immer, mitgebracht hatte, riss alles an sich […] keine zehn Minuten, nachdem er die Pilze geschluckt hatte, fing er an, den Zirkel zu tyrannisieren. Er nahm sich eine Schellentrommel, fing sofort an, der Gruppe seinen Rhythmus aufzuzwingen und herrschte alle an, die sich nicht fügten […]
Lucille konnte nicht mehr vor Lachen. Urs war völlig verwandelt. Was der mit seiner Schellentrommel aufführte! Sie hatte nicht gewusst, dass ein Mensch so wenig Rhythmus besitzen konnte. Er hüpfte im Tipi umher und traf keinen einzigen Takt […] Er korrigierte die anderen […]
Edwin spürte rein gar nichts […]
Er hatte […] versucht, Blank wie allen anderen Teilnehmern des Rituals vorurteilsfrei gegenüberzutreten […] Der Mann war ihm ganz normal und freundlich erschienen […]
Aber jetzt, wo Blank sich aufführte wie der Erfinder der Schellentrommel, revidierte er seine Meinung. Das Vorurteil stimmte. Blank war das eingebildete Arschloch, für das er ihn von Anfang an gehalten hatte. (Seite 51f)

Bevor Blank sich übergeben muss, schleifen Joe und Edwin ihn ins Freie und lassen ihn dort im Gras liegen.

Nach diesem Wochenende wundern sich Blanks Geschäftspartner, dass er bei Verhandlungen den Faden verliert und sich nicht wie gewohnt diplomatisch, sondern aggressiv verhält. Aus einem nichtigen Anlass brüllt er seinen fünfzehn Jahre jüngeren Assistenten Dr. Christoph Gerber zusammen. Während eines Gesprächs mit seinem Partner von Berg steht er unvermittelt auf und verlässt die Kanzlei. Erst nach einer Weile fällt ihm ein, dass er von Berg einfach vergessen hat. Einmal wartet er in der Wohnung, die Lucille sich mit ihrer Freundin Pat teilt, auf seine Geliebte. Als ihn deren Kater Troll stört, dreht er ihm kurzerhand den Hals um und versteckt den Kadaver in seiner Aktentasche.

Auf dem Rückweg drängelt oberhalb von Neuwald ein anderer Autofahrer. Blank fährt stur weiter, doch als der andere nach einer Kurve zum Überholen ansetzt, beschleunigt Blank seinen schwarzen Jaguar, und sobald der Wagen neben ihm langsamer wird, bremst er – auch als ihnen ein anderes Fahrzeug entgegenkommt. In der Zeitung liest er zwei Tage später, dass bei dem Frontalzusammenstoß ein vierundzwanzigjähriger Maschinenbauzeichner und ein siebenundsechzig Jahre alter Akkordeonspieler ums Leben kamen.

Blank erinnert sich an Anfälle von Jähzorn in seiner Kindheit, etwa zu der Zeit, als seine Eltern sich scheiden ließen. Aber seit er erwachsen ist, tritt er für Gewaltfreiheit ein.

Verstört über sein verändertes Verhalten sucht er Rat bei einem Schulfreund, dem Psychiater Alfred Wenger. Er habe die Kontrolle über sich verloren, meint Blank, gefühllos und ohne Hemmschwelle folge er jedem Impuls. Wenger rät ihm zu einer Psychoanalyse. Weil Blank nichts davon hält, überredet Wenger ihn zu einer Wiederholung des Trips unter kontrollierten Bedingungen. Damit lasse sich mitunter die Wirkung eines schlechten Trips neutralisieren, meint er. Blank meldet sich im Büro mit einer Lebensmittelvergiftung krank und bietet Joe Gasser 3000 Francs für einen zweiten Pilztrip.

Dieser verläuft ganz anders als der erste, sehr viel friedlicher, aber danach hat sich nichts verändert, außer dass Blank es nun wenigstens im Nachhinein bedauert, wenn er jemand Unrecht tut.

Das hindert ihn jedoch nicht daran, einen Junkie, der ihn auf einem einsamen Waldparkplatz überfällt, zusammenzuschlagen und dann auch noch absichtlich zu überfahren.

Nach der Fusion von „Elegantsa“ und „Charade“ stellt sich heraus, dass Fluri bei seinem „Russlandfeldzug“ nicht 2 bis 2,5 Millionen verloren hat, wie angegeben, sondern 29 Millionen. Dafür muss er nun aufgrund der von Blank in den Vertrag aufgenommen Klausel gegenüber Ott geradestehen. Fluri erschießt sich.

Blank fährt zum Fichtenhof und fragt Joe, welcher Pilz bei seinem ersten Trip dabei gewesen sei. Nachdem er Joe geschlagen und ihm kochenden Kaffee über den Arm gegossen hat, verrät dieser ihm, dass es sich wohl um einen Bläuling gehandelt habe.

Kurz darauf wird Detektivwachtmeister Rolf Blaser zum Fichtenhof gerufen: Das Waldhaus ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt, und man findet die verkohlte Leiche Joe Gassers. In der Gerichtsmedizin stellt sich heraus, dass er sich wohl bei einem Treppensturz einen Schädelbruch zugezogen hatte. Die Polizei vermutet daraufhin als Brandursache eine brennende Zigarette oder einen Joint.

Der alte Egli sagt aus, er habe kurz vor dem Feuer einen schwarzen Jaguar am Fichtenhof gesehen.

Wenger bringt seinen Freund für vier Wochen im Privatsanatorium Eschengut unter. Jeden Morgen geht Blank in den Wald und hält sich dort den ganzen Tag lang auf. Das tut ihm gut, und er lernt viel über das Leben in der Natur.

Zu seiner Überraschung trifft er eines Tages auf einer Anlagenbank vor dem Sanatorium auf Ott, der ihm erzählt, er erhole ich jedes Jahr drei Wochen in Eschengut. Die bei einem gemeinsamen Waldspaziergang gesammelten Pilze lässt Ott – der sich als passionierter Jäger gut im Wald auskennt – in der Küche des Sanatoriums zubereiten und lädt Blank dazu ein. Den dazu angebotenen Wein lehnt Blank ab; er bevorzugt Wasser. Als Ott ihm nach dem Essen verrät, dass es sich bei den Pilzen um Faltentintlinge (Coprinus atramentarius) gehandelt habe, deren Verzehr besonders in Verbindung mit Alkohol zu einem Kreislaufkollaps führen kann, schlägt Blank ihm wütend ins Gesicht. Plötzlich hat Ott ein Jagdmesser in der Hand. Blank entreißt es ihm und verlässt das Zimmer.

Ott wundert sich: Er hält sich für einen ausgezeichneten Menschenkenner und hätte nicht gedacht, dass der Anwalt so leicht die Kontrolle verliert. Jetzt sinnt er für die Demütigung auf Rache.

Als Blank bei einem überraschenden Besuch Lucilles deren Freund Arshad nackt in ihrem Bett ertappt, stürzt er sich auf ihn und drückt ihm die Kehle zu, bis Lucille Blank eine Bratpfanne auf den Kopf haut. Am nächsten Morgen meldet Lucille sich bei der Polizei und sagt aus, der schwarze Jaguar, der am Fichtenhof gesehen wurde, gehöre dem Anwalt Urs Blank. Am Vorabend hätte er beinahe ihren Freund umgebracht.

Weder im Hotel noch in der Kanzlei ist Blank zu finden.

Nach einem Unwetter stoßen Franz und Leni Hofer mit ihren Kindern bei einem Waldspaziergang am Gründelsee auf einen Geländewagen, der halb im Wasser steht und dessen Dach von zwei umgestürzten Tannen eingedrückt wurde. Die Polizei stellt in dem auf Blank zugelassenen Fahrzeug 3000 Francs, Schlüssel, Führerschein, Kreditkarten und einen vollen Rucksack sicher. Es sieht so aus, als habe Blank sich das Leben genommen.

Der lebt jedoch im Wald. Erst als ihm nach einem Monat das Salz ausgeht, verlässt er sein Versteck und kauft in einem Laden in Rimmeln neue Vorräte. Dabei wird er von Fritz Fenner beobachtet. Als der Fünfzigjährige von der Ladenbesitzerin erfährt, der Fremde habe ihr gesagt, sein Auto stehe im Nachbarort Burren, wundert er sich, denn dort wäre auch ein Geschäft gewesen. Er fährt mit dem Motorrad nach Burren, sieht aber den Fremden nicht mehr. Daraus schließt Fenner, dass es sich um einen im Wald hausenden Kriminellen handeln könnte, und es dauert nicht lang, bis er Blanks Versteck gefunden hat.

Während der Jagdsaison kommen Jäger mit ihren Hunden Blank mehrmals gefährlich nah. Einmal sieht er einen von ihnen, aber weder der etwa vierzigjährige Jäger noch dessen Hund bemerken ihn. Als Blank beobachtet, dass der Jäger drei Steinpilze mitnimmt, die er eigens stehen ließ, damit sie noch etwas wachsen konnten, läuft er ihm nach, stellt ihn und verlangt die Herausgabe der Steinpilze. Obwohl oder weil es sich bei dem Jäger um einen Juristen handelt – Dr. Lorenzo Brunner-Frei – befürchtet er, gegen einen Paragrafen verstoßen zu haben und folgt Blank zu der Stelle am Abgrund, wo die Steinpilze standen. Dort stößt Blank ihn in die Tiefe.

Danach übernachtet Blank in einer Jugendherberge in der Nähe der Kanzlei. Nachts dringt er mit einem Zweitschlüssel ein. An seiner früheren Bürotür steht nun „Dr. Christoph Gerber“. Aber den Computer kann er nach wie vor mit einem Hot Key starten. Die Dateien über eine geplante Fusion der „Confed“ mit „British Life“, „Securité du Nord“ und „Hansa Allgemeine“ zum größten Versicherungskonzern der Welt interessieren ihn nicht weiter. Stattdessen lädt er stundenlang Seiten über halluzinogene Pilze aus dem World Wide Web herunter und druckt sie aus. Den Angaben zufolge scheint es sich bei dem Pilz, von dem er bei seinem ersten Trip aß und den Joe Gasser „Bläuling“ nannte, um ein Safrangelbes Samthäubchen (Conocybe caesia) gehandelt zu haben. Dieser extrem seltene Pilz wächst nur im Umkreis von Eiben, etwa im Rubliholz.

Am nächsten Tag fährt er mit dem Regionalzug nach Rothausen. Während der Fahrt entdeckt er in einer liegen gebliebenen Zeitung die Todesanzeige von Maria Brunner-Frei und ihren Kindern Verena, Max und Enzo für Dr. Lorenzo Brunner-Frei. Und er liest einen Artikel darüber, dass „Bonotrust“ und „Unifonda“ bei einem kurz vor der Bekanntgabe der Fusion „Confed“ mit „British Life“, „Securité du Nord“ und „Hansa Allgemeine“ getätigten Aktiengeschäft 400 Millionen Dollar verdient haben sollen. Der Verdacht, es habe sich um ein Insider-Geschäft gehandelt, liegt nah.

Gerber wundert sich über die zuletzt aufgerufenen Dateien und kommt zu der Überzeugung, dass jemand an seinem Computer war. Der Einbrecher öffnete die Dateien über die Fusion der Versicherungsgesellschaften und die damit zusammenhängenden Aktiengeschäfte. Wenn davon etwas bekannt wird, ist nicht nur Anton Huwyler, der Präsident der „Confed“, sondern auch die renommierte Kanzlei am Ende. Als seine Sekretärin Petra Decarli ihn darauf hinweist, dass Blank einen Hot Key gehabt habe, vermutet Gerber, dass sein früherer Chef nicht tot ist, sondern sich über das illegale Geschäft informierte. Das würde auch das Fehlen von Einspruchspuren erklären. Aus Furcht vor Enthüllungen beschließen die Partner, die Polizei nicht einzuschalten, und sie hoffen, dass Blank nicht gefunden wird.

Geiger erzählt Ott – der inzwischen zu seinen Freunden zählt und auch in die Machenschaften um „Confed“ eingeweiht ist – von dem Vorfall. Ott lässt sich daraufhin aus dem Cache die offenbar von Blank aus dem WWW aufgerufenen Seiten ausdrucken – und wundert sich, dass es sich um Informationen über halluzinogene Pilze bzw. die Wirkstoffe Psilocybin, Psilocin, Serotonin und Baeocystin handelt.

Eine Station nach Rothausen steigt Blank aus dem Zug und geht durch den Wald. Vorsichtig nähert er sich seinem Versteck. Als er den Rauch einer Brissago riecht, kehrt er um. Ein Polizist ruft ihm nach, aber Blank blickt nicht zurück. Stattdessen beginnt er eine Steilwand hinaufzuklettern. Dem Polizeihund, der ihm folgt, rammt er einen rasch mit Otts Jagdmesser aus einem Ast geschnitzten Speer ins Herz.

Paul Welti, ein Polizeigefreiter Mitte dreißig, der am nächsten Tag mit Hilfe anderer Suchhunde den Kadaver seines Polizeihundes Pascha findet, lässt der Fall keine Ruhe.

Weil jemand neben eine Abbildung des Faltentintlings in dem von der Polizei in dem Waldversteck sichergestellten Pilzatlas mit Kugelschreiber „Pius Otts Scherzpilz!“ geschrieben hat, wird der Multimillionär von der Polizei befragt. Ott behauptet, sich keinen Reim darauf machen zu können – aber er weiß nun, dass Blank tatsächlich noch am Leben ist und im Wald haust. Außerdem fällt ihm auf, dass in dem Pilzatlas der Beitrag über das Safrangelbe Samthäubchen rot angestrichen ist.

Sein Jagdeifer erwacht. Er wendet sich an den Pilzkontrolleur Theo Huber, einen der besten Pilzkenner in der Gegend, erweckt den Eindruck, ein Wissenschaftler zu sein und erfährt, dass das Safrangelbe Samthäubchen, das auch Bläuling heißt, weil es sich nach dem Pflücken blau verfärbt, von August bis Anfang November nach Regenfällen unter Eiben vorkommt. Die letzten Exemplare des extrem seltenen Pilzes sah Theo Huber vor vier Jahren im Rubliholz.

Der Pilzatlas wurde in der Buchhandlung Meinrad Harder gekauft. Der Inhaber kann der Polizei die Namen von drei Käufern angeben, weil sie mit einer Kreditkarte bezahlten. Darunter ist auch Urs Blank.

Als die Polizei in Blanks früherem Büro Fingerabdrücke nimmt, um sie mit denen in dem Pilzatlas zu vergleichen, sagt Gerber zu dem Beamten, am Drucker könne er sich die Arbeit sparen, denn der sei erst nach Blanks Verschwinden angeschafft worden. Doch auch Fingerabdrücke am Drucker stimmen mit denen im Pilzatlas überein. Detektivwachtmeister Rolf Blaser schließt daraus, dass Blank noch am Leben ist – und wundert sich darüber, dass die Anwälte in der Kanzlei keine Anzeige erstatteten, obwohl Blank offenbar nach seinem Verschwinden den Drucker in seinem früheren Büro benutzt hatte. Was soll da vertuscht werden?

Im Zuge seiner Ermittlungen befragt Blaser auch Blanks Freund Alfred Wenger und zeigt ihm den Pilzatlas mit dem Kommentar „Pius Otts Scherzpilz“. Ja, das sei Blanks Handschrift, versichert der Psychiater und klärt den Polizisten über die Bedeutung auf. (Sein Freund hatte ihm von dem Vorfall mit Ott erzählt.)

Als Blaser ein mit überhöhter Geschwindigkeit fahrender Adventure Pickup auffällt, der auf einen Waldweg zum Rubliholz einbiegt und sich bei der Überprüfung des Kennzeichens herausstellt, dass das Fahrzeug auf die Firma „Ott Financing“ zugelassen ist, ahnt Blaser, wer noch hinter Blank her ist. Gewissheit erhält er, als er sich bei Theo Huber nach dem im Pilzatlas rot angestrichenen Safrangelben Samthäubchen erkundigt und erfährt, dass sich dafür gerade erst ein vermeintlicher Wissenschaftler interessierte, dessen Beschreibung auf Ott zutrifft.

Blasers Antrag auf ein Fahndungsplakat wird von „ganz oben“ abgelehnt. Daraufhin informiert Blaser diskret einen Journalisten, dessen Zeitung am nächsten Tag ein am Computer bearbeitetes Foto veröffentlicht, auf dem Blank mit Bart und langen Haaren zu sehen ist: „Vorsicht, Waldmensch!“

Geiger, von Berg und Minder werden nervös.

Um sich einen neuen Vorrat an Grundnahrungsmitteln anzulegen, die es nicht im Wald gibt, bricht Blank in ein abgelegenes Bauernhaus ein.

Auf dem Rückweg begegnet er dem Fotografen Hans Kunz und merkt, dass dieser ihm nachblickt. Deshalb nimmt er an einer Gabelung nicht den direkten Weg zu seinem neuen Versteck, sondern den nach Rosenstein – und gelang dabei zufällig zu den Überresten des Fichtenhofs. Ganz in der Nähe findet er endlich einige Safrangelbe Samthäubchen.

Eine aus Zweigen angefertigte Reuse bringt Ott auf die Spur zu Blanks Versteck in einer Höhle. Dort legt Ott sich auf die Lauer. Bewaffnet ist er mit einem Jagdstutzen und einer Pistole.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Blank heizt in der noch stehenden Schwitzhütte am Wasserfall ein. Nach dem Saunagang isst er von den Safrangelben Samthäubchen. Diesmal funktioniert es: Die Wirkung des ersten Trips wird aufgehoben.

In der Nähe seiner Höhle überrascht er Ott, dem dabei das Gewehr aus der Hand fällt. Es kommt zum Kampf. Dabei rollen die beiden Männer einen Abhang hinunter, bis sie von einem Baumstamm aufgehalten werden. Blank setzt seinem benommen am Boden liegenden Gegner das Jagdmesser zwischen der dritten und vierten Rippe links an. Auf der Klinge ist die Aufforderung „never hesitate“ eingraviert, aber Blank zögert, steht dann auf und klappt das Messer zu. Ott kommt zu sich, greift in den Parka. Blank beobachtet es, aber statt sich auf Ott zu stürzen, wartet er, bis dieser seine Pistole herausnimmt und ihn erschießt.

Gleich darauf wird Ott von Blaser verhaftet, der den Adventure Pickup in der Nähe stehen sah.

Wenig später verschwand der Name Blank vom diskreten Messingschild der Kanzlei.
Und nach ein paar Monaten das Messingschild. (Seite 221)

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Der Titel eines Albums von Pink Floyd („The Dark Side of the Moon“) inspirierte Martin Suter, seinen zweiten Roman, bei dem es sich um eine Mischung aus Psychothriller und Wirtschaftskrimi handelt, „Die dunkle Seite des Mondes“ zu nennen.

Hauptfigur ist der Schweizer Wirtschaftsanwalt Dr. Urs Peter Blank. Bei den Firmenfusionen, auf die er spezialisiert ist, frisst der Stärkere den Schwächeren, und bei diesem Poker um viel Geld geht es nicht immer fair und legal zu. Hin und wieder kommen Jahrzehnte alte Feindschaften zum Tragen. Der „Killerinstinkt“, den Blank einsetzt, um seinen Mandanten durch juristische Winkelzüge Vorteile zu verschaffen, ist die Grundlage seines beruflichen Erfolgs.

Als er seine sehr viel jüngere Geliebte zu einem „bewusstseinserweiternden Wochenende“ im Wald begleitet und von den herumgereichten halluzinogenen Pilzen isst, wird die dünne Schicht der Zivilisation zerstört. Dahinter kommt eine Bestie zum Vorschein, die schon seit seiner Kindheit in ihm lauerte und sich hinter der Maske des Wirtschaftsanwalts verbarg.

Martin Suters Augenmerk richtet sich nicht auf die psychologischen Veränderungen des Protagonisten, sondern auf die Frage, was geschieht, wenn Egoismus und Brutalität ohne Kontrolle durch gesellschaftliche Konventionen hervorbrechen. Mit vielen Einzelheiten beweist er, dass er sich nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern auch in Fragen des Überlebens abseits der Zivilisation gut ausgeht. Sein Stil ist nüchtern, mitunter sarkastisch. Martin Suter wechselt nicht nur fortwährend zwischen den Handlungssträngen hin und her, sondern an einigen Stellen – etwa bei der Darstellung des ersten Trips mit halluzinogenen Pilzen – schildert er ein- und dieselbe Szene aus verschiedenen Blickwinkeln und erzielt auf diese Weise nicht zuletzt komische Wirkungen.

Am 27. September 2014 begann Stephan Rick mit den Dreharbeiten für seine Verfilmung des Romans „Die dunkle Seite des Mondes“ von Martin Suter. Der Film „Die dunkle Seite des Mondes“ soll am 14. Januar 2016 in die Kinos kommen.

Originaltitel: Die dunkle Seite des Mondes – Regie: Stephan Rick – Drehbuch: Catharina Junk, Stephan Rick nach dem Roman „Die dunkle Seite des Mondes“ von Martin Suter – Kamera: Stefan Ciupek, Felix Cramer – Schnitt: Florian Drechsler – Darsteller: Jürgen Prochnow, Moritz Bleibtreu, Nora von Waldstätten, André Hennicke, Marco Lorenzini, Yves Robert Schaaf, Sabine Rossbach, Luc Feit, Ian T. Dickinson, Doris Schretzmayer, Nickel Bösenberg u.a. – 2015; 95 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006 / 2014
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.