Veit Etzold : Höllenkind

Höllenkind
Höllenkind Ein Clara-Vidalis-Thriller Originalausgabe Knaur Taschenbuch, München 2021 ISBN 978-3-426-52409-1, 367 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eine weiß gekleidete Braut blutet in der Sixtinischen Kapelle plötzlich aus allen Poren und bricht vor dem Traualtar sterbend zusammen. Der Vatikan ersucht die deutsche Kommissarin Clara Vidalis, die zufällig gerade Urlaub in Florenz macht, bei den Ermittlungen zu helfen. Aber sie kann nicht verhindern, dass noch mehr Menschen sterben und gerät selbst in Lebensgefahr ...
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Kritik

Veit Etzold beginnt den Thriller "Höllenkind" an drei Schauplätzen – Rom, Berlin, Konstanza – und führt die Handlungsstränge erst später zusammen. Dabei setzt er auf spektakuläre Szenen. Realismus ist ihm weniger wichtig. Sein Buch bietet leichte Unterhaltung für zwischendurch.
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Rom: Bluthochzeit

In der Sixtinischen Kapelle des Vatikans führt Paolo Visconti seine Stieftochter Aurelia Sforza zum Traualtar. Der Achtzigjährige ist das Oberhaupt der berühmten Adelsfamilie Visconti. Laura Alberti, seine erste Ehefrau, starb, als die gemeinsame Tochter Beatrice („Carina“) 15 Jahre alt war. Vor zehn Jahren heiratete Paolo Visconti die 30 Jahre jüngere Donatella Sforza, die einen Sohn und eine Tochter mit in die Ehe brachte: Ottavio und Aurelia Sforza. Beatrice wurde kurz nach der Hochzeit vor zehn Jahren entführt, und obwohl Paolo Visconti zweimal Lösegeld in Millionenhöhe bezahlte, fehlt bis heute jede Spur von ihr. Bei Aurelias Bräutigam handelt es sich um Vicente Visconti, einen Neffen und Patensohn des Familienpatriarchen.

Bevor Paolo Visconti und Aurelia Sforza den Altar erreichen, färbt sich das weiße Brautkleid plötzlich blutrot, und die junge Frau bricht sterbend zusammen.

Berlin: Suspendierung

Um an einen als „Blutgott“ bezeichneten Verbrecher heranzukommen, wollten ihn die Hauptkommissarin Clara Vidalis, die Leiterin der Abteilung für Pathopsychologie beim Landeskriminalamt Berlin, und ihr direkter Vorgesetzter Kriminaldirektor Walter Winterfeld, der Chef der Mordkommission, mit einer „Killer-Braut“ ködern. Aber die für die Rolle ausgewählte 16-Jährige Marie Wiesner schloss sich dem Blutgott an und half ihm, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen. Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, beurlaubt Alexander Bellmann, der Chef des Landeskriminalamts Berlin, Clara Vidalis und Walter Winterfeld bis auf weiteres. Bellmann möchte auch Clara Vidalis‘ an der gescheiterten Polizeiaktion beteiligten Ehemann Prof. Dr. Martin Friedrich („MacDeath“), den Leiter der Abteilung Operative Fallanalyse, vom Dienst suspendieren, aber das lässt dessen zweiter Vorgesetzter Victor Eisenstein, der Chef des Bundeskriminalamts, nicht zu.

Clara Vidalis nutzt den ungewollten Urlaub, um ihre kleine Tochter Victoria zu ihren Eltern nach Bremen zu bringen und mit ihrer Freundin Sophie nach Florenz zu fliegen, wo ihnen Claras Cousin Marco seine gerade leer stehende Mietwohnung zur Verfügung stellt.

Konstanza: Sexsklavinnen

In der rumänischen Stadt Konstanza am Schwarzen Meer hält ein Verbrecher, der Pacco Ricardo heißt, sich aber gern „Il Mostro“ nennen lässt, junge Frauen gefangen. Bis ihr Wille gebrochen ist, müssen sie beispielsweise Putzarbeiten verrichten. Zwischendurch dürfen sie duschen und müssen dann nackt für Fotos bzw. Videos posieren. Sobald sie ihren Widerstand aufgegeben haben, werden sie zur Prostitution gezwungen, nicht selten mit Perversen.

Eine heimliche Obduktion

Das Urlaubsvergnügen der beiden Damen in Florenz endet nach kurzer Zeit, denn der zur Schweizergarde gehörende Tobias Wehrli bringt sie mit einem Hubschrauber nach Rom, wo die deutsche Hauptkommissarin Clara Vidalis von Kardinal Julio Valera, dem Präfekten der Glaubenskongregation, erwartet wird. Er ersucht sie, den mit den Ermittlungen im Fall der Bluthochzeit in der Sixtinischen Kapelle beauftragten Commendatore bzw. Kriminaldirektor Mauro Adami von der Questura Florenz zu unterstützen.

Obwohl Aurelia Sforza unter mysteriösen Umständen in der Sixtinischen Kapelle gestorben ist, wollen Paolo und Donatella Visconti auf keinen Fall, dass ihre Tochter obduziert wird, und auf ihr Betreiben wurde die Tote bereits auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan bestattet.

Weil Clara Vidalis eine Obduktion für zwingend erforderlich hält, überredet sie Kardinal Julio Valera zu einer heimlichen Exhumierung der Leiche.

Die Dämmerung war still und klar. Normalerweise, das wusste Clara aus eigener Erfahrung, war das Wetter bei Exhumierungen immer schlecht. Sie fanden immer morgens zwischen fünf und sechs Uhr statt und es regnete immer. Jedenfalls in Deutschland. Hier in Italien regnete es nicht. Die Nacht war kühl, aber klar.

Ohne Wissen der Familie Visconti wird die Tote nach Berlin geflogen und dort im Institut für Rechtsmedizin in Moabit untersucht. Dabei stellt sich heraus, dass Aurelia Sforza zwei Stunden vor der Hochzeit eine hohe Dosis Nevrotamin aufgenommen hatte. Der Wirkstoff Warfarin gehört zu den Antikoagulanzien und Vitamin-K-Antagonisten. Weil eine orale Aufnahme ebenso wie eine Injektion ausgeschlossen werden können, ist zu vermuten, dass das Innenfutter des Hochzeitskleides mit dem Kontaktgift präpariert war. Dieser Verdacht bestätigt sich, nachdem das Hochzeitskleid aus Rom eingeflogen wurde.

In einem Privatjet des Vatikans begleitet Martin Friedrich seine Frau nach Florenz, denn er möchte sich an den Ermittlungen beteiligen.

Weitere Mordopfer

Kaum sind sie in Italien eingetroffen, hat der 1545 bis 1554 von Benvenuto Cellini gestaltete Perseus aus Bronze in der Loggia dei Lanzi nicht nur das Medusenhaupt in der Hand, sondern auch den abgetrennten Kopf von Vicente Visconti.

Eine Putzfrau findet die Leiche des erfolgreichen Rechtsanwalts Luca Turelli, dem nachgesagt wird, dass er für eine Reihe von Klientinnen und Klienten Geld gewaschen habe, beispielsweise auf dem Kunstmarkt und durch Immobiliengeschäfte. Der Tote sitzt im Konferenzraum seiner Kanzlei in Florenz auf einem Stuhl angeschnallt. Vermutlich verabreichte man ihm ebenfalls den Wirkstoff Warfarin, wenn auch in geringerer Dosierung als bei Aurelia Sforza, denn mit seinem aus einer Halsvene abgezapften Blut hat ein umgebauter Tintenstrahldrucker tausende von Papierblättern bedruckt.

Donatella Visconti, die zu Luca Turellis Mandantinnen gehörte, gibt ihrem Ehemann Tee zu trinken, in den sie ein Betäubungsmittel gemischt hat. Sie möchte nämlich nicht, dass er leidet, als ihr Komplize Pacco Ricardo, „Il Mostro“, den Greis mit einem Kopfkissen erstickt. Der herbeigerufene Arzt schreibt „Herzversagen“ auf den Totenschein.

Während sich Clara Vidalis und ihr Mann nach Paolo Viscontis Beerdigung in der Wohnung des Cousins umziehen, klettert der Mörder des Familienpatriarchen an der mit Efeu bewachsenen Hausfassade hinauf, dringt durchs Fenster ein, schlägt Martin Friedrich nieder und bedroht die Kommissarin mit einer Schusswaffe. Die ist zwar mit einem Schalldämpfer versehen, aber er will lieber doch das Fenster schließen. In diesem Augenblick wird er von draußen gepackt und hinausgezogen. Er stürzt in die Tiefe. Als sich Clara Vidalis aus dem Fenster beugt, sieht sie ihn mit verdrehten Extremitäten augenscheinlich tot auf dem Pflaster liegen. Der Mann, der ihr das Leben rettete, muss im Fenster der Wohnung darunter gestanden haben.

Donatellas Sohn Ottavio Sforza ist mit seinem 200.000 Euro teuren Ferrari unterwegs von Siena nach Florenz, als ein Vorderreifen platzt. (Später findet die Polizei heraus, dass er über einen Krähenfuß fuhr.) Er ruft den Pannendienst.

Davon weiß Donatella Visconti noch nichts, als sie unter dem Schutz ihrer Leibwächter allein in einem Restaurant isst. Während sie gerade als zweiten Gang eine Pastete genießt, bringt ihr ein Kurier ein Paket mit Ottavio Sforzas Kopf, und aus einem Begleitschreiben geht hervor, dass die Pastete Fleisch ihres Sohnes enthält. Donatella Visconti erbricht sich über den weiß gedeckten Tisch.

Bei der forensischen Untersuchung der Pasteten-Reste wird nicht nur DNA nachgewiesen, die mit der von Ottavio Sforza übereinstimmt, sondern auch der Wirkstoff Warfarin wie im Hochzeitskleid ihrer Tochter.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Rache (Spoiler)

Als Donatella Visconti aus der Zeitung von einem Einbruch in der Pazzi-Kapelle bei der Franziskaner-Kirche Santa Croce in Florenz erfährt, eilt sie hin, denn damit bestätigen sich ihre schlimmsten Befürchtungen.

Laura Viscontis Vater Vito Alberti, der Großvater ihrer verschollenen Tochter Beatrice, hatte Kunstschätze aus dem früheren Besitz des Dichters Dante Alighieri geerbt und von den Geschäften des Vatikans mit den „Rattenlinien“ profitiert. Einen Teil seines Reichtums spendete er für die Modernisierung der Capponi-Bibliothek (Biblioteca Riccardiana) in Florenz. Außerdem finanzierte er die Renovierung der Fresken in der von Filippo Brunelleschi gestalteten Kapelle der Familie Pazzi. Als er vor einer Hausdurchsuchung gewarnt wurde, versteckte er Kunstwerke, die er illegal besaß, im Hohlraum hinter einem Wandfresko von Luca della Robbia, der am nächsten Tag geschlossen wurde.

Bald nachdem Donatella Sforza Paolo Visconti geheiratet hatte, erfuhr sie von dem versteckten Schatz, den sie nach dem Tod ihres Ehemanns mit ihrer Stieftochter Beatrice zusammen erben würde. Um die Miterbin auszuschalten, inszenierte sie vor zehn Jahren mit dem Menschenhändler Pacco Ricardo deren Entführung und teilte sich das Lösegeld mit ihm.

In groben Zügen erfahren das auch Clara Vidalis und Martin Friedrich bei einem konspirativen Treffen mit Andrea de Lillo („Loco Lillo“), der früher der Camorra angehörte, inzwischen jedoch für Interpol arbeitet. Der Rechtsanwalt Luca Turelli soll Donatella Visconti bei der Geldwäsche geholfen haben. Aber bisher konnte nichts davon nachgewiesen werden; es handelt sich nur um Gerüchte und Vermutungen.

„Il Mostro“ sollte in Konstanza am Schwarzen Meer dafür sorgen, dass Beatrice nie wieder auftaucht. Aber die junge Frau machte sich an einen Wächter heran, der wegen seines Aussehens „Wolf“ genannt wurde. Indem sie ihm einen Anteil an einem verborgenen Schatz versprach, konnte sie ihn dazu überreden, mit ihr zu fliehen. Mit einem Landrover schafften sie es bis nach Montenegro, wo Wolf den Chef des Casinos kannte. Gustav Rehfeld stellte den Kontakt zu einem Freund her, der Wolf und Beatrice mit einer Frachtmaschine nach Florenz bringen ließ.

Als Donatella Visconti die Pacci-Kapelle betritt, warten ein Mann und eine Frau bereits auf sie, und sie erkennt ihre Stieftochter.

„Du willst mich umbringen?“, fragte Donatella. „Mach doch, es hat sowieso alles keinen Zweck mehr.“
„Das muss ich gar nicht. Das passiert …“ Die junge Frau zögerte einen Moment und schaute die unheimliche Gestalt im Hintergrund an. „… das passiert von selbst.“
Donatella fragte sich, ob der Mann im Hintergrund sie gleich umbringen würde. Doch keiner von beiden bewegte sich. […]
Dann schmeckte sie das Blut auf ihrer Zunge.
Und brach zusammen.

Beatrice hängt ihrer verblutenden Stiefmutter eine Kette mit einem Kreuz um. Es stammt aus Dantes Erbe. Im Gold soll sich ein Holzsplitter aus dem Baum befinden, an dem Judas Iskariot sich nach dem Verrats von Jesus schuldig fühlte und erhängte.

Nach der Ermordung Donatella Viscontis tauchen Beatrice Visconti und Wolf ebenso unter wie der Commendatore Mauro Adami von der Questura Florenz, der von Beatrice mit sehr viel Geld bestochen worden war und sich nun mit falschen Papieren nach Brasilien absetzt.

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Bei „Höllenkind“ handelt es sich um den achten „Clara-Vidalis-Thriller“ von Veit Etzold: „Final Cut“, „Seelenangst“, „Todeswächter“, „Der Totenzeichner“, „Tränenbringer“, „Schmerzmacher“, „Blutgott“, „Höllenkind“.

Im Prolog zu „Höllenkind“ verblutet eine Braut in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, als der Stiefvater sie zum Traualtar führen möchte.

Im ersten Kapitel wechselt Veit Etzold vom Schauplatz Rom nach Berlin. Dort ist kürzlich die Festnahme eines als „Blutgott“ bezeichneten Verbrechers gescheitert – damit endet der Band „Blutgott“ –, und um die Öffentlichkeit zu beruhigen, werden die Hauptkommissarin Clara Vidalis und ihr Vorgesetzter nun vom Dienst suspendiert. Den unerwünschten Urlaub nutzt Clara Vidalis für einen Trip nach Florenz.

Auf Seite 59 fängt ein dritter Handlungsstrang an, der in der rumänischen Stadt Konstanza spielt. Erst nach einiger Zeit führt Veit Etzold die drei Handlungsstränge zusammen.

Die Mörder inszenieren ihre Taten in Florenz nach Textstellen aus der Anfang des 14. Jahrhunderts von dem aus Florenz stammenden Dichter Dante Alighieri verfassten „Göttlichen Komödie“, in der Dante am Ende von seiner früh gestorbenen platonischen Jugendliebe Beatrice durch die neun himmlischen Sphären des Paradieses geführt wird. In Veit Etzolds Thriller ist Beatrice kein Engel wie bei Dante, sondern das Titel gebende „Höllenkind“.

Nicht nur auf die „Göttliche Komödie“ spielt Veit Etzold in „Höllenkind“ an, sondern auch auf einige andere Bücher, Theaterstücke und Kinofilme wie „Der Pate“ (1972), „Se7en“ (1995), „Leon. Der Profi“ (1996), „Lost Highway“ (1996), „Im Auftrag des Teufels“ (1997). Bau- und Kunstwerke werden wie in einem Reiseführer beschrieben. Diese Einsprengsel retardieren die Handlung und steigern nicht gerade die Spannung.

Bereits mit dem Prolog über die in der Sixtinischen Kapelle verblutende Braut zeigt Veit Etzold, dass er auf Effekthascherei setzt. Realismus ist ihm weniger wichtig. Da gilt ein Zitat aus „Höllenkind“:

Die gesamten Ereignisse hörten sich wie ein Horrorfilm an, wo es der Drehbuchautor mit der Logik nicht so ganz genau nahm. (Seite 317)

In wörtlicher Rede können Sprachschludrigkeiten durchaus angebracht sein, aber in „Höllenkind“ durchziehen sie auch den Text des auktorialen Autors, der beispielsweise ‒ ebenso wenig wie das Lektorat ‒ den Unterschied zwischen „das Gleiche“ und „dasselbe“ kennt:

Die gleichen Firmen, die sonst mit penetranter Werbung und haltlosen Marketingversprechen alles taten, um mit dem Kunden Kontakt aufnehmen zu können, taten im Callcenter alles, um den gleichen Kunden genauso schnell wieder loszuwerden. (Seite 285)

Der Thriller „Höllenkind“ von Veit Etzold könnte Fans von Dan Brown („Illuminati“, „Sakrileg“ …) gefallen. Es ist keine anspruchsvolle Lektüre, sondern leichte Unterhaltung für zwischendurch.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © Droemer Knaur

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