Philip Roth : Amerikanisches Idyll

Amerikanisches Idyll
Originalausgabe: American Pastoral, New York 1997 Amerikanisches Idyll Übersetzung: Werner Schmitz Carl Hanser Verlag, München / Wien 1998
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Seymour Levov gilt als Siegertyp. Der Sohn eines Handschuhfabrikanten in Newark heiratet eine Miss New Jersey, über­nimmt das Familien­unternehmen und führt es erfolgreich weiter – bis sich die Tochter politisch radikalisiert. Merry protestiert gegen den Vietnam-Krieg, beteiligt sich an Demonstrationen in New York und rebelliert gegen die angepassten Eltern. Nach einem Bombenanschlag taucht sie unter ...
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Kritik

In "Amerikanisches Idyll" konfrontiert Philip Roth das angepasste Bürgertum mit einer politisch radikalisierten Jugend. Der Roman handelt zugleich vom Zerbrechen eines Lebensentwurfs.
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Das „amerikanische Idyll“ ist in Newark, New Jersey. Dort lebt Seymour Levov, genannt der Schwede, weil er groß ist, blaue Augen und blonde Haare hat. In seiner Jugend war er ein gefeierter Baseballspieler; jetzt leitet er in dritter Generation erfolgreich eine weltweit liefernde Handschuhfabrik, die seine jüdischen Vorfahren aufgebaut haben. Dass seine Frau Dawn, eine frühere Schönheitskönigin, aus einer katholischen Familie stammt, stört Seymour nicht, seinen Vater schon eher. Schön sein heißt dumm sein: Um dieses Vorurteil zu entkräften, betreibt Dawn eine Farm mit Viehzucht. Mit der Tochter Merry scheint der amerikanische Traum vom glücklichen und erfolgreichen Leben perfekt zu sein – bis eines Tages die Bombe platzt. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes: Die hübsche, wissbegierige, behütete, aber verwöhnte Tochter, die nur einen Makel hat – sie stottert –, schließt sich in den Jahren des Vietnamkrieges einer Untergrundgruppe an. Als 16-Jährige verübt sie auf die örtliche Poststelle einen Bombenanschlag, bei dem ein Mensch getötet wird. „Die verfluchte Missgeburt“, wie der Bruder des „Schweden“ sie bezeichnet, taucht ab, und die Familie weiß nicht, wie sie mit ihrer Verzweiflung und Ohnmacht umgehen soll.

Fünf Jahre ist Seymour auf der Suche nach seiner Tochter. Als er sie auf abenteuerlichen Wegen ausfindig gemacht hat, sieht er sich einem verwahrlosten, in Lumpen gehüllten, stinkenden Wrack gegenüber.

Merry hat sich den Jainas angeschlossen, einer radikalen indischen Sekte, die zur Erlangung der Vollkommenheit Askese und Selbstverleugnung vorschreibt. Deren Anhänger sind angehalten, einen Mundschutz zu tragen, weil sie den Mikroorganismen in der Atemluft nicht wehtun wollen. Eine der eindrucksvollsten Stellen des Buches ist die plastische und drastische Beschreibung der vor Schmutz starrenden, von Ungeziefer wimmelnden Behausung, in der Merry vegetiert und ihres unsagbar verkommenen physischen Zustands. Seymour ist hin- und hergerissen zwischen körperlichem Ekel und väterlichem Mitgefühl. Kann und soll er sie aus dieser ihm ausweglos erscheinenden Situation herausholen? Im Übrigen: Merry stottert nicht mehr.

In den Jahren der Selbstvorwürfe zerbricht die Ehe. Dawn wird mit der Ungewissheit und Schande psychisch nicht fertig. In der Schweiz unterzieht sie sich einer Schönheitsoperation und nimmt sich dann einen Freund der Familie zum Liebhaber. Der Mantel des Schweigens breitet sich langsam über die scheinbar vergessene Katastrophe – bis bei einem Familienfest bei den Levovs verborgene und bisher gehütete Geheimnisse zur Sprache kommen. „Das Idyll ist niemals weit vom Trümmerfeld.“

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Das Entsetzen über den Vietnamkrieg veranlasst eine junge Amerikanerin, sich politisch zu engagieren. Sie rebelliert gegen die Eltern, protestiert gegen die Regierung und beteiligt sich an Bombenanschlägen. „Amerikanisches Idyll“ konfrontiert das angepasste Bürgertum mit einer Jugend, die sich politisch radikalisiert. Zugleich drehen sich der Film und die literarische Vorlage um das Zerbrechen eines Lebensentwurfs: Die Bombenlegerin schließt sich einer gewaltfreien Sekte an, die jeglichem Einfluss auf die Umwelt entsagt. Die Ehe der Eltern zerbricht, nicht zuletzt, weil der Vater nicht aufhört, die Tochter zu suchen, während die Mutter das nicht mehr erträgt und die bewusste Trennung der Tochter von der Familie akzeptiert, um ein neues Leben anfangen zu können.

Philip Roth stellt die gesellschaftliche Problematik in „Amerikanisches Idyll“ aus Sicht der amerikanischen Gegebenheiten dar. Für uns deutsche Leser ist die ausführliche Beschreibung von Baseballspielen vielleicht nicht so interessant.

Philip Roth wurde 1998 für seinen Roman „Amerikanisches Idyll“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

(Ärgerliche Schlamperei bei der Übersetzung: Da wird einem Deckstier eine Stute (!) zugeführt.)

Ewan McGregor verfilmte den Roman von Philip Roth: „Amerikanisches Idyll“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2002

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