John Grisham : Die Erbin

Die Erbin
Originalausgabe: Sycamore Row Doubleday, New York 2013 Die Erbin Übersetzung: Kristiana Dorn-Ruhl,Bea Reiter, Imke Walsh-Araya Wilhelm Heyne Verlag, München 2014 ISBN: 978-3-453-26910-1, 702 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Am 2. Oktober 1988 erhängt sich der 71 Jahre alte, krebskranke Unternehmer Seth Hubbard in Palmyra am Ast einer Platane. Mit einem am Tag zuvor eigenhändig geschriebenen Testament vermacht er 90 Prozent seiner 24 Millionen Dollar seiner 47-jährigen Haushälterin Lettie Lang. Dass ein Weißer einer Schwarzen ein riesiges Vermögen hinterlässt, wird als skandalös empfunden. Seine beiden Kinder, die leer ausgehen sollen, fechten das Testament an, und ihre Anwälte arbeiten mit schmutzigen Tricks, um die Geschworenen auf ihre Seite zu ziehen ...
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Kritik

John Grisham benötigt keine Action-Elemente, um einen spannenden Thriller zu schreiben. In seinem Roman "Die Erbin" gelingt es ihm, die gerichtliche Auseinandersetzung in einem Erbschaftsstreit packend darzustellen.
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Am 2. Oktober 1988, ein Jahr nachdem die Ärzte unheilbaren Lungenkrebs bei ihm diagnostizierten, erhängt sich der 71-jährige Unternehmer Seth Hubbard in Palmyra/Mississippi an einer Platane.

Der Rechtsanwalt Jake Brigance in Clanton/Mississippi erhält am nächsten Tag einen am 1. Oktober datierten Brief, in dem ihn Seth Hubbard beauftragt, ein ebenfalls am 1. Oktober verfasstes handschriftliches Testament gegen zu erwartende Widerstände durchzusetzen. Dem beigelegten Testament zufolge sollen weder die beiden Exfrauen noch die zwei erwachsenen Kinder oder die Enkel des Verstorbenen einen Cent aus dem Erbe erhalten. Fünf Prozent vermacht Seth Hubbard der Irish Road Christian Church, ebenso viel seinem jüngeren, seit Jahrzehnten verschollenen Bruder Ancil F. Hubbard und 90 Prozent seiner 47 Jahre alten afroamerikanischen Haushälterin Letetia („Lettie“) Delores Tayber Lang in Box Hill/Mississippi. Das von dem Rechtsanwalt Lewis McGwyre aus der Kanzlei Rush & Westerfield in Tupelo formulierte Testament vom 7. September 1987 wird ausdrücklich widerrufen und durch das neue handschriftliche ersetzt.

Wie von Seth Hubbard gewünscht, behält Jake Brigance die Neuigkeit bis zum Abschluss der Trauerfeier und der Kremierung der Leiche für sich. Erst am 4. Oktober geht er kurz vor Dienstschluss in das entsprechende Büro im Gerichtsgebäude der Kleinstadt Clanton und lässt das handschriftliche Testament eröffnen.

Jake Brigance ist 35 Jahre alt, mit der vier Jahre jüngeren Lehrerin Carla verheiratet, und die beiden haben die siebenjährige Tochter Hanna. Im Juli 1985 verteidigte Jake den Afroamerikaner Carl Lee Hailey, der die beiden weißen Vergewaltiger seiner Tochter erschossen hatte. Wider Erwarten erreichte Jake einen Freispruch für seinen Mandanten. Das war ein großer Erfolg, brachte jedoch nur 900 Dollar Honorar ein und führte dazu, dass im Vorgarten der Familie Brigance ein brennendes Holzkreuz aufgestellt wurde, dann jemand einen Bombenanschlag auf das Wohnhaus verübte und es schließlich niederbrannte. Die Versicherung hat bis jetzt noch nichts bezahlt, und Jake weiß kaum, wovon er die Raten für die Hypotheken bezahlen soll.

Seth Hubbards Kinder Herschel und Ramona sind aus Memphis/Tennessee bzw. Jackson/Mississippi nach Palmyra gekommen. Von dem handschriftlichen Testament ahnen sie nichts. Herschel Hubbard ist 46 Jahre alt, wohnt seit seiner Scheidung wieder bei der Mutter in Memphis und lebt von den spärlichen Einnahmen einer Studentenkneipe. Seine ein paar Jahre jüngere Schwester Ramona Hubbard Dafoe ist in Begleitung ihres Ehemanns Ian Dafoe, will sich jedoch scheiden lassen. Die Geschwister beabsichtigen, das Haus des Verstorbenen zu verkaufen und beenden Letties Arbeitsverhältnis noch am Tag der Bestattung.

Erst als die Anwälte Stillman Rush, Sam Larkin und Lewis McGwyre aus Tupelo am 5. Oktober das von Seth Hubbard in ihrer Kanzlei hinterlegte Testament vom Vorjahr eröffnen wollen, wird die Existenz eines neuen handschriftlichen Testaments bekannt.

Mit Hilfe des von Seth Hubbard benannten Testamentsvollstreckers Russell Amburgh findet Jake heraus, dass es bei der Erbschaft um 24 Millionen Dollar geht. Niemand ahnte, dass der eigenbrötlerische Unternehmer so reich war.

Für 11. Oktober setzt der zuständige Richter Reuben V. Atlee eine erste Vorbesprechung an. Außer Lettie Lang, Herschel Hubbard, Ramona Dafoe und Russell Amburgh sind mehr als zehn Rechtsanwälte an der gerichtlichen Auseinandersetzung beteiligt: Jake Brigance vertritt im Auftrag des Verstorbenen das handschriftliche Testament. Ramona und Ian Dafoe haben Wade Lanier und Lester Chilcott aus Jackson beauftragt. D. Jack O’Malley aus Memphis und seine Korrespondenzanwälte Stillman Rush, Sam Larkin und Lewis McGwyre aus Tupelo stehen an Herschel Hubbards Seite. Dessen Kinder werden von Zack Zeitler aus Memphis vertreten, und Joe Bradley Hunt aus Jackson soll darauf achten, dass die Interessen der Kinder von Ramona und Ian Dafoe gewahrt bleiben. Überdies hat auch Lettie Lang einen Anwalt engagiert: Booker Sistrunk bringt seinen Partner Kendrick Bost aus Memphis mit, und weil die beiden in Mississippi nicht zugelassen sind, arbeiten sie mit Rufus Buckley als Korrespondenzanwalt zusammen. Im Erfolgsfall wird Booker Sistrunk 50 Prozent des für seine Mandantin erstrittenen Erbes erhalten. Jake ist entsetzt, denn der im Rolls Royce vorgefahrene schwarze Jurist ist für seine spektakulären Auftritte in der Öffentlichkeit bekannt. Es ist zu befürchten, dass er für böses Blut sorgt. Schlimmer noch, der Fall wird dadurch endgültig zu einem Konflikt zwischen Schwarz und Weiß: Ein Weißer enterbt seine Kinder und hinterlässt einer schwarzen Haushälterin mehr als 20 Millionen Dollar, so viel Geld, wie keine andere afroamerikanische Familie in Ford County besitzt. Das halten vor allem Weiße für skandalös. Und Jake rechnet damit, dass die Geschworenen vorwiegend weiß sein werden.

Lettie unterschrieb den Vertrag mit Booker Sistrunk unter dem Einfluss ihres Ehemanns Simeon Lang, eines 46 Jahre alten arbeitslosen und kleinkriminellen Quartalssäufers. Der leiht sich dann auch noch im Vorgriff auf einen Erfolg im Erbschaftsstreit zwei größere Geldbeträge von Booker Sistrunk und mietet ein größeres Haus. Das heizt die Stimmung gegen die potenzielle Erbin weiter an.

Sie ist ein Jahr älter als ihr Mann. 1959 absolvierte sie die Highschool in Hamilton/Alabama. Dann ging sie nach Memphis, heiratete Simeon Lang und bekam schon bald das erste ihrer fünf Kinder. Marvin Lang ist inzwischen 28 Jahre alt und verbüßt seit zwei Jahren eine Haftstrafe wegen Drogenhandels und anderer Delikte. Erst im Alter von 30 Jahren erfuhr Lettie, dass Cypress und Clyde Tayber nur ihre Pflegeeltern waren. Ihre leibliche Mutter Lois Rinds war bei der Geburt am 16. Mai 1941 erst 16 Jahre alt und starb zwei Jahre später. Lettie wuchs schließlich mit den sechs Kindern des unverheirateten Paares Cypress und Clyde Tayber zusammen auf.

Die gegnerischen Anwälte fechten das handschriftliche Testament an und argumentieren, Seth Hubbard sei aufgrund der starken Medikamente, die er einnahm, am Tag vor seinem Suizid nicht mehr testierfähig gewesen. Sie unterstellen Lettie, die Situation ausgenutzt und den Schwerkranken so beeinflusst zu haben, dass er ein neues Testament zu ihren Gunsten verfasste. Falls das Gericht das handschriftliche Testament für ungültig erklärt, erben Herschel und Ramona entsprechend des Testaments vom 7. September 1987 je 40 Prozent des Vermögens; mit 15 Prozent wird ein Treuhandfonds für ihre Kinder gebildet, und die restlichen 5 Prozent gehen auch in diesem Fall an die Irish Road Christian Church.

Russell Amburgh wird auf seinen Antrag hin von der Aufgabe des Testamentsvollstreckers entbunden. Der Richter ersetzt ihn durch Quince Lundy aus Smithfield, allerdings fungiert dieser nicht als Testamentsvollstrecker, sondern als Nachlassverwalter.

Jake Brigance wird nicht nur von Quince Lundy unterstützt, sondern auch von dem mit ihm befreundeten afroamerikanischen Sheriff Ozzie Walls, seinem früheren Kommilitonen Harry Rex Vonner, einem erfolgreichen Scheidungsanwalt, und von Lucien Wilbanks, einem 63-jährigen alkoholkranken Juristen, der vor neun Jahren seine Zulassung als Anwalt verlor und von dem Jake die Kanzlei gemietet hat. Unerwartet stößt auch Letties Tochter Portia Lang zum Team. Die 24-Jährige kehrte kürzlich von sechs Jahren Dienst in der US-Army zurück und möchte Jura studieren. Jake stellt sie als Praktikantin ein. Als Erstes soll sie ihre Mutter davon überzeugen, dass es besser ist, Booker Sistrunk das Mandat zu entziehen.

Zur gleichen Zeit drängt Wade Lanier den Ehemann seiner Mandantin, mit seinem Schwager Herschel zu reden, damit dieser seinen Anwälten kündigt und sich ebenfalls von Lanier vertreten lässt. Er begründet das mit der angeblichen Inkompetenz der Kollegen, die ihn daran hindern könnte, die gerichtliche Auseinandersetzung zu gewinnen. Im Erfolgsfall würde Lanier allerdings auch doppelt so viel Honorar erhalten – bei gleichem Arbeitsaufwand. Es dauert einige Zeit, aber schließlich werden Laniers Konkurrenten von Herschel Hubbard entlassen.

Am 16. Januar 1989 spürt der von Wade Lanier beauftragte Privatdetektiv Randall Clapp den Sohn einer früheren Arbeitgeberin Letties auf. Fritz Pickering lebt in der Nähe von Shreveport/Louisiana. 1978 bis 1980, als er noch in Tupelo wohnte, half Lettie seiner Mutter im Haushalt. 1980 erkrankte Irene Pickering. Da tauchte plötzlich ein handschriftliches Testament von ihr auf, in dem sie ihrem Dienstmädchen 50 000 Dollar vermachte, fast die Hälfte ihres Vermögens. Sie wollte nicht mit Fritz und seiner Schwester darüber reden, und Lettie behauptete, sie habe nichts davon gewusst. Die Geschwister warfen Lettie hinaus und sorgten dafür, dass ihre inzwischen etwas verwirrte Mutter ein von dem Rechtsanwalt Hal Freeman in Oxford/Mississippi aufgesetztes Testament unterschrieb. Einen Monat danach starb Irene Pickering. Ihre Tochter folgte ihr 1984 ins Grab.

Clapp bricht mit einem Mitarbeiter zusammen in das Archiv des Anwalts in Oxford ein und verschafft sich sowohl Irene Pickerings Testament vom März 1980 als auch das vom August 1980.

Bei einer erneuten, von Richter Atlee geleiteten Vorbesprechung am 20. Februar 1989 erwähnt Wade Lanier nichts davon.

In der folgenden Nacht fährt Simeon Lang wieder einmal im betrunkenen Zustand Auto und verursacht dabei einen Unfall, bei dem Kyle und Bo Roston, die beiden Söhne von Jeff und Evelyn Roston, ums Leben kommen. Ein Schwarzer, der zwei weiße Schüler totfährt: damit sinken Letties Chancen, das Erbe zu bekommen, gegen Null. Jake kann nur dafür sorgen, dass sie unverzüglich die Scheidung von ihrem inhaftierten Ehemann einreicht. Außerdem drängt er sie, sich endlich wieder eine Arbeitsstelle zu suchen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass sie nur noch auf die Auszahlung des Erbes warte.

Randall Clapp spricht in Dillwyn/Georgia mit der 39-jährigen Afroamerikanerin Julina Kidd, die früher als Lohnbuchhalterin in einer von Seth Hubbard 1984 übernommenen Möbelfabrik bei Thomasville/Georgia arbeitete. Der neue Besitzer nahm sie auf einer Geschäftsreise nach Mexiko Stadt mit. Weil sie sich nach der gemeinsamen Nacht wie eine Prostituierte fühlte, flog sie am nächsten Morgen allein zurück. Er kündigte ihr fristlos, und Julina Kidd reagierte darauf mit einer Klage wegen sexueller Belästigung. Am Ende einigten sie sich außergerichtlich auf die Zahlung einer Geldsumme. Clapps Auftraggeber Lanier bietet Julina Kidd ebenfalls Geld, und zwar 5000 Dollar plus Spesen für eine Zeugenaussage im Erbstreit. Das Auftreten einer Schwarzen, mit der Seth Hubbard Sex hatte, soll den Geschworenen suggerieren, dass er auch mit Lettie intim war. Das würde die Weißen in der Jury gegen die potenzielle Erbin einnehmen.

Portia Lang forscht in Seth Hubbards Vergangenheit. Sein 1959 verstorbener Vater Cleon Hubbard führte 1928 mit dem 30 Jahre alten Afroamerikaner Sylvester Rinds einen Prozess um ein 30 Hektar großes Stück Land. Sein Rechtsanwalt Robert E. Lee Wilbanks war Luciens Großvater. Offenbar gewann Sylvester Rinds den Prozess, denn das strittige Areal ging erst nach seinem Tod im Jahr 1930 durch eine Abtretungsurkunde seiner Witwe Esther an Cleon Hubbard über. Esther Rinds verschwand danach mit ihrer kleinen Tochter Lois aus der Gegend. Bei Lois Rinds handelt es sich um Letties leibliche Mutter. Gibt es da einen Zusammenhang, der erklärt, warum Seth Hubbard seine schwarze Haushälterin kurz vor dem Suizid als Erbin einsetzte?

Am 20. März ruft Richter Atlee die Anwälte Jake Brigance, Wade Lanier, Zack Zeitler und Joe Bradley Hunt erneut zusammen. Laniers Mitarbeiter Lester Chilcott legt Jake wie nebenbei eine Liste mit 45 eventuellen Zeugen hin. „Aktualisierte Offenlegung“, sagt er. Jake ahnt, dass sich unter den Namen der eines Überraschungszeugen der Gegenseite befindet. Aber bis zur in zwei Wochen beginnenden Verhandlung bleibt nicht genügend Zeit, um Informationen über alle 45 Männer und Frauen zu beschaffen.

Tatsächlich ist der Name Julina Kidd unter den anderen 44 zum großen Teil gar nicht relevanten Namen versteckt. Fritz Pickering steht nicht auf der Liste. Mit ihm will Lanier die Gegenseite erst in einem geeigneten Augenblick des Prozesses überraschen, obwohl er damit eklatant gegen die Prozessordnung verstößt.

Jake wird nach Arbeitsstunden bezahlt und muss sich die Beträge von Richter Atlee genehmigen lassen. Er kann sich keinen spezialisierten Berater leisten, der Informationen über die 97 nach dem Zufallsprinzip bestimmten Bürger einholt, die für die einvernehmliche Auswahl der zwölf Geschworenen zur Verfügung stehen. Lanier beauftragt damit Myron Pankey, einen hoch dotierten Experten, der sich mit vier Mitarbeitern an die Arbeit macht.

Vier Tage vor Prozessbeginn spürt Lucien mit Hilfe der auf die Suche nach vermissten Personen spezialisierten Agentur von Albert Murray in Washington, D. C., Seth Hubbards verschollenen Bruder Ancil in Juneau/Alaska auf. Der 66-jährige Kleinkriminelle arbeitete dort unter dem falschen Namen Lonny Clark in einer Kneipe und liegt seit einer Schlägerei mit einem Schädelbruch im Krankenhaus. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung stellte die Polizei 30 Kilogramm Kokain sicher, die er für einen Kumpel aufbewahren sollte, dazu 2000 Dollar, gefälschte Pässe und Führerscheine auf verschiedene Namen sowie Entlassungspapiere der US-Navy vom Mai 1955 für Ancil F. Hubbard. Obwohl der Patient von der Polizei bewacht wird, gelingt es Lucien, zu ihm vorzudringen und mit ihm zu reden. Allerdings leugnet der Verletzte, Ancil Hubbard zu sein.

Der Zeitungsverleger Willie Traynor, der aus Clanton weggezogen ist, bietet Jake und Carla sein um 1900 von Dr. Miles Hocutt gebautes Haus zu einem Schnäppchenpreis an, und Harry Rex Vonner erreicht, dass das befreundete Ehepaar 135 000 Dollar Schadenersatz für das niedergebrannte Haus bekommt. Dennoch zögert Jake, denn es würde in der Öffentlichkeit keinen guten Eindruck machen, wenn sich der Anwalt, der ein umstrittenes Testament durchzusetzen versucht, noch während des Gerichtsverfahrens ein Haus kauft. Die Geschworenen würden über die Höhe seines Honorars spekulieren, ihn um das Einkommen beneiden und von ihm abrücken. Willie Traynor überredet den Anwalt jedoch, per Handschlag den Preis und die Kaufabsicht zu besiegeln.

Wie erwartet, sind nur zwei der Geschworenen schwarz: Michele Still und Barb Gaston. Zum Auftakt des Prozesses erklärt Jake der Jury, dass es nicht ihre Aufgabe sei, Seth Hubbards letzten Willen zu kritisieren oder das Erbe neu zu verteilen, sondern über die Gültigkeit des handschriftlichen Testaments zu entscheiden. Dabei ist von vorneherein unbestritten, dass es sich nicht um eine Fälschung handelt. Entscheidend wird die Frage sein, ob Seth Hubbard beim Verfassen des Testaments am 1. Oktober 1988 im Büro in seiner Firmenzentrale, der Berring Lumber Company, testierfähig war.

Lettie sagt aus, dass sie sich nicht um die Anstellung bei Seth Hubbard bewarb, sondern von ihm angerufen wurde. Er habe gehört, dass sie Arbeit suche, sagte er. Als Wade Lanier sie ins Kreuzverhör nimmt, lässt er sie frühere Arbeitgeber aufzählen, und nach den Gründen für die Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse gefragt, beteuert sie, kein einziges Mal in Unfrieden aufgehört zu haben. Den Namen Pickering erwähnt sie nicht. Lanier ruft daraufhin völlig überraschend Fritz Pickering als Zeugen auf. Jake protestiert: „Von diesem Mann habe ich nie gehört. Er steht nicht auf Ihrer Zeugenliste.“ Richter Atlee zieht sich mit Wade Lanier und Jake Brigance in sein Amtszimmer zurück. Lanier behauptet zu seiner Rechtfertigung, Fritz Pickering sei nicht als Zeuge vorgesehen gewesen, aber nachdem Lettie Lang unter Eid gelogen habe, könne er auf dessen Aussage nicht verzichten. Dann erläutert er kurz, dass Lettie 1978 bis 1980 für Irene Pickering arbeitete und von deren Kindern im Streit hinausgeworfen wurde, nachdem ein handschriftliches Testament zu ihren Gunsten aufgetaucht war. Obwohl auch der Richter durchschaut, dass Lanier trickst, lässt er die Zeugenaussage zu. Jake ist entsetzt und zugleich wütend auf Lettie. Warum hat sie ihm die brisante Geschichte verschwiegen?

Jake, der sich nicht auf die Befragung Fritz Pickerings vorbereiten konnte, versucht es mit einem Schuss aus der Hüfte und fragt: „Mr Pickering, wie viel erhalten Sie dafür, dass Sie heute hier aussagen?“ Es ist gefährlich, Fragen zu stellen, deren Antworten man nicht kennt. Aber Jake hat Glück. Pickering gibt nicht nur zu, 7500 Dollar bekommen zu haben, sondern auch, dass ihm Laniers Kanzlei den Scheck bereits vor einem Monat schickte. Lanier weiß also seit mindestens einem Monat von dem potenziellen Zeugen, verschwieg ihn jedoch bis vor wenigen Minuten und führte ihn auch nicht auf der vor zwei Wochen übergebenen Liste von 45 möglichen Zeugen auf. Ein klarer Verstoß gegen die Prozessordnung!

Herschel Hubbard und Ramona Dafoe stellen ihre Beziehung zum Vater als eng und liebevoll dar. Der Sohn behauptet beispielsweise, seinen Vater regelmäßig zu Basketballspielen der Braves in Atlanta mitgenommen zu haben. Aber im Kreuzverhör erinnert er sich angeblich nicht mehr an die Hotels, in denen sie übernachteten und Jakes Fragen nach wichtigen Spielern der Braves kann er nicht beantworten. Ramona sagt schluchzend aus und tut so, als habe sie ihren Vater oft mit den Kindern besucht. Jake erkundigt sich nach dem Alter der Kinder Will und Leigh Ann. 14 bzw. 12 Jahre lautet die Antwort. Dann liest Jake einen Satz aus Seth Hubbards Testament vor:

Ich habe zwei Kinder – Herschel Hubbard und Ramona Hubbard Dafoe –, die wiederum Kinder haben. Wie viele, weiß ich nicht, da ich sie schon länger nicht mehr gesehen habe.

Wade Lanier ruft Julina Kidd in den Zeugenstand, und sie berichtet über ihre sexuelle Belästung durch Seth Hubbard vor fünf Jahren. Dr. Niehoff, einer der Sachverständigen, erklärt, dass der Krebspatient durch die Medikamentenwirkung nicht mehr klar habe denken können. Vergeblich weist Jake darauf hin, dass Niehoff aufgrund der ausgestellten Rezepte urteile und nicht wisse, ob Seth Hubbard alle verordneten Medikamente auch eingenommen habe. Dann weist Lanier noch darauf hin, dass das Testament von 1987 von Lewis McGwyre steuerlich optimiert worden sei. Ein erfolgreicher Geschäftsmann wie Seth Hubbard könne nicht bewusst in Kauf genommen haben, dass sein Nachlass aufgrund eines laienhaft formulierten Testaments mit deutlich höheren Steuern belastet wird. Die Differenz betrage 3,14 Millionen Dollar.

Im Augenblick waren die Geschworenen und praktisch alle anderen im Gerichtssaal davon überzeugt, dass Seth Hubbard desorientiert, benommen und schläfrig gewesen war, unter Realitätsverlust gelitten hatte […]. Kurzum, er war nicht testierfähig gewesen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Während Jake in Clanton die Felle davonschwimmen, flüchtet Ancil Hubbard aus dem Krankenhaus. Er findet Lucien Wilbanks an der Bar des Glacier Inn und sucht am nächsten Tag, am 5. April, mit ihm zusammen die Kanzlei des vom Barkeeper Bo Buck empfohlenen Rechtsanwalts Jared Wolkowicz in Juneau auf, um eine eidesstattliche Zeugenaussage aufzunehmen.

Zunächst erklärt der Anwalt kurz, um was es geht. Lucien sagt einleitend in die Videokamera:

Mein Name ist Lucien Wilbanks, und ich bin Richter Atlee und den Anwälten im Verfahren um das Testament von Seth Hubbard persönlich bekannt. In Zusammenarbeit mit Jake Brigance und anderen ist es mir gelungen, Ancil Hubbard aufzuspüren. Ich habe mehrere Stunden mit Ancil verbracht und bin fest davon überzeugt, dass er tatsächlich der Bruder des verstorbenen Seth Hubbard ist. Er wurde 1922 in Ford County geboren. Sein Vater war Cleon Hubbard. Seine Mutter war Sarah Belle Hubbard. 1928 engagierte sein Vater Cleon meinen Großvater Robert E. Lee Wilbanks, um ihn in einem Rechtsstreit um ein Stück Land zu vertreten.

Während Lucien mit der Videokassette zum Flughafen eilt, kehrt Ancil ins Hotel zurück, um das noch für zwei Nächte bezahlte Zimmer zu nutzen. Danach will er erneut untertauchen. Aber beim Betreten des Glacier Inn wird er verhaftet.

Am nächsten Morgen, fünf Minuten, bevor Jake sich auf den Weg zum Gericht macht, ruft Lucien lallend aus Memphis an. Weil er bei der Ankunft so betrunken war, dass er aus dem Flugzeug getragen werden musste, sitzt er im Gefängnis. Jake muss zum Gericht, aber Sheriff Ozzie Walls fährt mit seinem Deputy Marshall Prather nach Memphis. Dort finden sie heraus, dass Lucien seine Aktentasche im Flugzeug liegen ließ. Sie wird in Minneapolis gefunden, und die Airline verspricht, das Gepäckstück so rasch wie möglich nach Memphis zu schicken.

Im Gerichtsgebäude unterrichtet Jake noch vor dem Beginn der Verhandlung den Richter und die gegnerischen Anwälte darüber, dass Seth Hubbards Bruder gefunden wurde und eine Aussage machte. Lanier meint, eine Zeugenaussage ohne die Möglichkeit eines Kreuzverhörs sei unzulässig, aber Richter Atlee will sich das Video ansehen, und danach entscheidet er, dass es im Gerichtssaal noch einmal abgespielt wird.

Mein Name ist Ancil F. Hubbard. Ich lebe in Juneau, Alaska, wurde aber am 1. August 1922 in Ford County, Mississippi, geboren. Mein Vater war Cleon Hubbard, meine Mutter Sarah Belle, mein Bruder Seth.

Seth war fünf Jahre älter als ich, andere Geschwister gab es nicht. Er war mein großer Bruder und hat sich um mich gekümmert, so gut es ging. Wir hatten ein hartes Leben, wegen unseres Vaters, Cleon Hubbard, eines Mannes, den wir vom Tag unserer Geburt an hassten. Er schlug uns, schlug unsere Mutter, schien immer mit irgendwem im Streit zu liegen.

Cleon hasste Sylvester Rinds, alle Rinds. Es war eine Fehde, die schon lange brodelte. Wissen Sie, Sylvester besaß ebenfalls dreißig Hektar, die im Westen direkt an unser Land angrenzten, und die Hubbards waren immer der Meinung, das wäre eigentlich ihr Grund und Boden. Cleon sagte, ein gewisser Jeremiah Rinds habe das Land im Jahr 1870 nach dem Ende des Bürgerkriegs erworben. Jeremiah war ein freigelassener Sklave, der es irgendwie geschafft hatte, das Grundstück zu kaufen. Ich war damals noch ein Kind und verstand nie wirklich, was passiert war, aber die Hubbards waren immer davon überzeugt, dass es eigentlich ihnen gehörte. Ich glaube, sie gingen deswegen sogar vor Gericht.

Als der 13-jährige Seth und sein fünf Jahre jüngerer Bruder in einer Augustnacht des Jahres 1930 merkten, dass der Streit zwischen ihrem Vater und den Rinds eskalierte, kletterten sie aus dem Fenster, ritten ein Stück mit ihrem Pony und beobachteten dann, wie Sylvester Rinds vor seinem Haus von drei oder vier Weißen mit Stöcken geschlagen wurde. Esther Rinds weinte und schrie, bis die Männer sie niederschlugen. Dann warfen sie Sylvester Rinds auf die Ladefläche eines Pick-ups und fuhren mit ihm zu einer Reihe von Platanen: Sycamore Row. Dort sahen die beiden Jungen auch ihren Vater, der mit einer Schrotflinte in der Hand Anweisungen erteilte und dafür sorgte, dass Sylvester Rinds an einem Ast erhängt wurde. Als die anderen Männer anschließend das Haus der Rinds niederbrennen wollten, stellte sich ihnen Cleon Hubbard in den Weg. Ein, zwei Tage später ließ er sich das Anwesen von Esther überschreiben. Obwohl er ihr dabei versprach, dass sie weiterhin mit ihrer kleinen Tochter Lois in dem Haus wohnen könne, kam er bald darauf mit dem Sheriff und einem Deputy zurück, und sie vertrieben nicht nur Esther, sondern auch alle anderen Rinds aus der Gegend. Die Häuser äscherten sie ein.

1935 trennten sich Cleon und Sarah Belle Hubbard. Während Seth beim Vater blieb, zog Ancil mit der Mutter nach Corinth/Mississippi. Im Alter von 16 Jahren lief Ancil fort und mit 17 meldete er sich zur Marine.

Nach dem Abspielen des Videos glaubt niemand im Gerichtssaal mehr, dass Seth Hubbard bei der Abfassung des Testaments am Tag vor seinem Suizid desorientiert gewesen sei. Offenbar hatte er schon vor drei Jahren gewusst, dass Lettie die Enkelin des von seinem Vater ermordeten und beraubten Afroamerikaners war. Dass er todkrank werden würde, konnte er nicht ahnen. Aber er muss die ganze Zeit über alles genau geplant haben, auch seinen Tod an genau der Platane, an der Sylvester Rinds gelyncht worden war. Dass die Geschworenen das handschriftliche Testament in ihrem einstimmigen Urteil für gültig erklären, ist nicht mehr überraschend.

Fürs Erste hat Jake den Prozess gewonnen. Aber die Gegenseite gibt sich nicht geschlagen, und es lassen sich auch leicht einige Revisionsgründe finden, vor allem die Zulassung des Videos.

Einige Tage nach dem Urteilsspruch sagt Richter Atlee zu Jake Brigance und Portia Lang:

Ich will, dass dieser Streit durch einen Vergleich beigelegt wird. In den nächsten beiden Jahren wird niemand an das Geld herankommen, solange das Revisionsverfahren läuft. Hunderte von Stunden werden dafür aufgewendet werden. Die anfechtenden Parteien werden überzeugend für eine Aufhebung des Urteils argumentieren, und ich verstehe, warum. Ich habe das Video von Ancil Hubbard zugelassen, weil es in diesem Augenblick fair war. Die Geschworenen – und wir alle – mussten die Geschichte hören. Sie erklärt Seth Hubbards Motive. Es wird überzeugend vorgetragen werden, dass das prozessrechtlich ein Fehler war.

Portia meint, ihre Mutter sei gewiss mit einem Vergleich einverstanden. Sie hätte zwar gern das Land, das ihren Großeltern gewaltsam abgenommen worden war, um sich darauf ein Haus zu bauen, aber sie brauche keine Millionen. Daraufhin erläutert Atlee seinen Plan. Von den 24 Millionen geht die Hälfte an Steuern ab. Mit fünf Millionen könnte eine Stiftung gegründet werden, die 20 Jahre lang Bildungsstipendien vergibt, und zwar ausschließlich an Rinds. Die sechs Millionen Dollar, die nach Abzug von je einer halben Million Dollar für Ancil Hubbard und die Irish Road Christian Church übrig bleiben, sollten nach Atlees Vorstellung gleichmäßig auf Lettie Lang, Herschel Hubbard und Ramona Dafoe verteilt werden.

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John Grisham benötigt keine Action-Elemente, um einen spannenden Thriller zu schreiben. In seinem Roman „Die Erbin“ gelingt es ihm, die gerichtliche Auseinandersetzung in einem Erbschaftsstreit packend darzustellen. Detailliert schildert er die Situation unter juristischen Gesichtspunkten, die Argumente der verschiedenen Parteien, die Suche nach Zeugen, die Nach­forschun­gen, das Zusammentragen von Beweismaterial, die Strategien der gegnerischen Anwälte und den Verlauf des Gerichts­verfahrens. Zugleich beleuchtet John Grisham die Tricks und Finten der Anwälte, ihre Absprachen und Manipulationsversuche. Die Handlung spielt 1988/89 in Mississippi, und weil es um die afroamerikanische Erbin eines weißen Unternehmers geht, spielen rassistische Vorurteile eine entscheidende Rolle. Trotz eines verhältnismäßig einfachen Plots ist „Die Erbin“ ein komplexer Roman.

An manchen Stellen übertreibt John Grisham es mit der Ausführlichkeit der Darstellung. Vermutlich hätte er bei „Die Erbin“ problemlos auf 200 von 700 Seiten verzichten können, aber er entwickelt die Handlung souverän und versteht es, auch dann fesselnd zu erzählen, wenn es um juristische Zusammenhänge geht, mit denen er sich offensichtlich eingehend beschäftigt hat.

Soweit die Handlung 1988/89 spielt, entfaltet sie sich chronologisch. Zwischendurch geht es um Vorgänge in der Vergangenheit, und zwar auf zwei Zeitebenen: im August 1930 und unmittelbar vor Seth Hubbards Suizid am 2. Oktober 1988. Was da geschah, inszeniert John Grisham nicht als Rückblenden, sondern er lässt Zeugen darüber berichten.

Den Roman „Die Erbin“ von John Grisham gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Charles Brauer (Regie: Oliver Versch, Köln 2014, ISBN 978-3-8371-2480-4).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Wilhelm Heyne Verlag

John Grisham (kurze Biografie / Bibliografie)

John Grisham: Die Firma
John Grisham: Der Klient (Verfilmung)
John Grisham: Die Kammer
John Grisham: Der Verrat
John Grisham: Das Urteil (Verfilmung)
John Grisham: Das Fest
John Grisham: Die Schuld
John Grisham: Der Anwalt
John Grisham: Das Geständnis
John Grisham: Das Komplott
John Grisham: Der Gerechte
John Grisham: Bestechung
John Grisham: Das Original
John Grisham: Das Bekenntnis
John Grisham: Die Wächter
John Grisham: Das Manuskript
John Grisham: Der Verdächtige

Otto de Kat - Mann in der Ferne
In seinem sehr poetischen Roman "Mann in der Ferne" erzählt Otto de Kat keine durchgehende Handlung, sondern er lässt uns teilhaben an den assoziativ verknüpften Erinnerungen seines melancholischen Ich-Erzählers, eines etwa sechsunddreißigjährigen Niederländers, der nicht darüber hinwegkommt, dass sein Vater starb, bevor er ein letztes Mal mit ihm reden konnte.
Mann in der Ferne