John Grisham : Das Geständnis

Das Geständnis
Originalausgabe: The Confession Doubleday, New York 2010 Das Geständnis Übersetzung: Kristina Dorn-Ruhl,Bea Reiter, Imke Walsh-Araya Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 ISBN: 978-3-453-26659-9, 527 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein notorischer Sexualverbrecher namens Travis Boyette meldet sich bei dem Geistlichen Keith Schroeder in Topeka, Kansas, und behauptet, er habe vor neun Jahren die Schülerin Nicole Yarber aus Slone, Texas, entführt, mehrfach vergewaltigt und erdrosselt. Der Afroamerikaner Donté Drumm, der wegen des Mordes verurteilt wurde und dessen Hinrichtung in vier Tagen ansteht, sei unschuldig. Wird es noch möglich sein, die Hinrichtung zu verhindern?
mehr erfahren

Kritik

In dem spannenden Justizthriller "Das Geständnis" veranschaulicht John Grisham die Fragwürdigkeit der Todesstrafe. Eindrucksvoll ist es, wie er das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
mehr erfahren

Keith Schroeder, der leitende Pastor der Gemeinde St. Mark in Topeka, Kansas, ist fünfunddreißig Jahre alt. Mit seiner Ehefrau Dana zusammen hat er drei Söhne. Am 5. November 2007, einem Montag, kommt ein Mann zu ihm, der am Sonntag in der Kirche war und offenbar etwas loswerden möchte.

Der Küster von St. Mark hatte gerade eine dicke Schneeschicht vom Gehsteig geschippt, als ein Fremder mit einem Gehstock auftauchte. Die Sonne schien, aber der Wind blies in Sturmstärke, und die Temperatur hatte sich um den Gefrierpunkt eingependelt. Der Mann trug lediglich eine dünne Latzhose, ein Sommerhemd, ausgetretene Wanderstiefel und eine leichte Windjacke, die der Kälte kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Aber das schien ihn nicht zu stören, und er hatte es auch nicht eilig. Hinkend, leicht zur linken, vom Stock gestützten Seite geneigt, schlurfte er an der kleinen Kirche vorbei und auf eine Seitentür zu, auf der in dunkelroten Buchstaben „Büro“ stand. Er klopfte nicht an. Die Tür war unverschlossen. Beim Eintreten fuhr ihm ein heftiger Windstoß in den Rücken.

Travis Boyette wurde am 10. Oktober 1963 in Joplin, Missouri, geboren. Im Alter von zwölf Jahren stand er erstmals vor Gericht. Er hatte mit anderen Kindern zusammen einen Laden überfallen. In Oklahoma wurde er 1979 wegen schwerer sexueller Nötigung zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, aber 1985 vorzeitig entlassen. Nach zwei weiteren Gefängnisaufenthalten wurde der Sexualstraftäter zuletzt 2001 wegen versuchter Vergewaltigung zu zehn Jahren Haft verurteilt. Nach der Verbüßung des größten Teils der Freiheitsstrafe soll er vorzeitig auf Bewährung freikommen. Zur Vorbereitung darauf lebt er jetzt für einige Zeit im Übergangshaus der Gefängnisbehörde von Kansas in Topeka. Boyette behauptet, nach der Entlassung aus der Strafanstalt in Lansing, Michigan, habe man bei ihm einen Gehirntumor diagnostiziert, ein inoperables Glioblastom Grad IV, an dem er innerhalb weniger Monate sterben werde. Deshalb habe er nichts mehr zu verlieren und wolle einen Mord beichten, für den am Donnerstag um 18 Uhr ein Unschuldiger hingerichtet werden soll.

Nachdem Boyette wieder fort ist, informiert Keith sich im Internet über den Fall, denn er bezweifelt, dass Boyette die Wahrheit gesagt hat.

Am 4. Dezember 1998 verschwand die siebzehnjährige Schülerin Nicole Yarber aus Slone, Texas. Das attraktive Mädchen war die Anführerin der Cheerleaderinnen des Footballteams der Slone Highschool. Ihre Eltern Reeva und Cliff Yarber hatten sich scheiden lassen; Nicole wohnte mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater Wallis Pike und zwei jüngeren Halbgeschwistern (Chad, Marie) in Slone. Nicoles Schülerausweis und ihre Mitgliedskarte von einem Fitnessklub wurden am 16. Dezember in Rush Point aus dem Red River gefischt. Daraufhin wurde der Fluss nach einer Leiche abgesucht. Aber die Bemühungen blieben ergebnislos. Schließlich erhielt Detective Drew Kerber, der die Ermittlungen leitete, einen anonymen Anruf. Ein Mann behauptete, Nicole sei mit dem afroamerikanischen Mitschüler Donté Drumm zusammen gewesen, habe aber Schluss mit ihm machen wollen. An dem Abend, an dem Nicole zuletzt in einem Einkaufszentrum gesehen worden war, wollte der Anrufer dort auf dem Parkplatz den grünen Van der Familie Drumm gesehen haben. Die Detectives Drew Kerber und Jim Morrissey passten Donté am 22. Dezember nach dessen Besuch eines Fitness-Studios ab und fragen ihn, ob er bereit sei, ein paar Fragen über die vermisste Nicole Yarber zu beantworten. Arglos erklärte Donté sich einverstanden, folgte den Cops mit dem grünen Van zum Polizeipräsidium und hielt es auch nicht für nötig, einen Anwalt hinzuzuziehen.

Donté Lamar Drumm wurde am 2. September 1980 in Marshall, Texas, als drittes von vier Kindern des LKW-Fahrers Riley Drumm und dessen Ehefrau Roberta geboren. Wie Nicole besuchte er die Slone High, und er gehörte zu den Stars der Football-Mannschaft. Am Abend des 4. Dezember, so gab er bei seiner Vernehmung zu Protokoll, sei er zu Hause gewesen und habe auf seine jüngere Schwester Andrea aufgepasst, weil die Eltern bei einem Kirchentag in Dallas waren. Nach ein paar Stunden schlugen die Ermittler Donté vor, sich mit einem Polygraphen testen zu lassen. Der Schüler willigte sofort ein, denn er war zuversichtlich, damit die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen untermauern zu können. Umso heftiger traf es ihn, als ihm Kerber anschließend erklärte, das Ergebnis beweise, dass er lüge. (Tatsächlich lieferte der Lügendetektor keine Anzeichen dafür.) Kerber, Morrissey und ihr Kollege Nick Needham holten auch Dontés besten Freund Torrey Pickett ins Präsidium und sorgten dafür, dass Donté durch eine Scheibe sah, wie Torrey ein Papier unterzeichnete. Danach logen sie, Torrey habe ihn in seiner Aussage schwer belastet. Nach zwölf Stunden brach Donté zusammen und legte in den folgenden drei Stunden ein umfassendes Geständnis ab, wobei Kerber ihm eifrig half, Lücken in der Darstellung zu schließen.

Weil Donté nicht zum Abendessen gekommen war und auch nicht angerufen hatte, machten die Eltern sich Sorgen. Riley Drumm fand schließlich den grünen Van auf dem Parkplatz vor dem Gefängnis und dem Polizeipräsidium von Slone. Im Gefängnis wusste man nichts von seinem Sohn. Das Tor des Polizeipräsidiums war verschlossen. Ein Streifenpolizist nahm Drumm schließlich mit ins Gebäude, aber er wartete vergeblich darauf, Donté zu sehen. Um 4 Uhr morgens verließ er das Polizeipräsidium, ohne auch nur erfahren zu haben, was los war.

Der Prozess gegen Donté Drumm fand in Paris, Texas, unter dem Vorsitz der Richterin Vivian Grale statt. Bezirksstaatsanwalt Paul Koffee vertrat die Anklage. Verteidigt wurde Donté von Robbie Flak. Obwohl er seine Aussage längst widerrufen hatte und seine Unschuld beteuerte, wurde das Geständnis für Donté zum Verhängnis. Ein Polizist, der zu der Suchmannschaft nach Nicole Yarber gehört hatte, berichtete vor Gericht, ein Spürhund sei unruhig geworden, als er ihn zu Dontés Van gebracht habe. Außer einem anonymen Anrufer gab es noch einen Belastungszeugen namens Ricky Stone, einen Häftling, der später nach seiner vorzeitigen Freilassung die Aussage widerrief. Eine Leiche wurde nie gefunden. Die dürftige Beweislage genügte dem Gericht, um Donté Drumm wegen Mordes zum Tod zu verurteilen.

Am 29. Oktober 1999 wurde er in den Todestrakt des Staatsgefängnisses von Huntsville gebracht.

Das Urteil wurde im Februar 2001 vom Texas Court of Criminal Appeals in Austin bestätigt.

Riley Drumm starb 2002 an einer Herzerkrankung.

Im selben Jahr konnte der anonyme Anrufer durch eine von der Kanzlei Robbie Flak in Auftrag gegebene Stimmanalyse identifiziert werden. Es handelte sich um Joey Gamble, einen Mitschüler von Nicole Yarber und Donté Drumm, mit dem das Mädchen sich regelmäßig verabredet hatte. Offenbar hatte er aus Eifersucht auf Donté gehandelt.

2005 erfuhr die Öffentlichkeit, dass die Richterin Vivian Grale und der Staatsanwalt Paul Koffee zum Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens gegen Donté Drumm eine Affäre miteinander gehabt hatten. Vivian Grale musste daraufhin zurücktreten; Koffee wurde mangels eines anderen Kandidaten wiedergewählt und übt das Amt noch immer aus.

Nachdem Keith Schroeder den Eindruck gewonnen hat, dass Travis Boyette die Wahrheit sagte, fragt er am Dienstag, den 6. November 2007 im Übergangsheim nach ihm und erfährt, dass Boyette seit einem Anfall aufgrund des Hirntumors im St. Francis Hospital liegt. Der Geistliche besucht ihn dort. Er will versuchen, die Hinrichtung des unschuldigen Afroamerikaners am Donnerstag zu verhindern. Boyette zeigt ihm einen Ring, den er an einer Halskette trägt und behauptet, ihn Nicole Yarber abgenommen zu haben. Die Gravuren „ANY“ (Alicia Nicole Yarber) und „SHS 1998“ (Slone High School 1998) machen es glaubhaft. Er habe damals als Hilfsarbeiter bei einer Baufirma in Monsanto westlich von Slone gearbeitet, sagt er. Allerdings werde man das nicht nachprüfen können, denn er sei schwarz beschäftigt worden. Gewohnt habe er im Rebel Motor Inn, und im Januar 1999 sei er in Slone beim Autofahren mit Alkohol von der Polizei gestoppt worden. Bei den Fußballspielen, die er besuchte, gefiel ihm die hübsche Anführerin der Cheerleaderinnen. Er lauerte ihr auf, brachte sie in seine Gewalt, fuhr mit ihr nach Missouri und vergewaltigte sie unterwegs mehrmals. Dann erdrosselte er sie mit einem Gürtel und vergrub die Leiche in den Hügeln südlich von Joplin. Wo genau, kann er nicht beschreiben. Boyette meint, nur er sei in der Lage, die Stelle zu finden, wenn er sich vor Ort an Einzelheiten erinnere. Aber er muss sich jeden Abend um 18 Uhr im Übergangsheim in Topeka melden und dort die Nacht verbringen. Den Staat Kansas darf er nicht verlassen.

Keith fragt Matthew Burns um Rat. Der mit ihm befreundete stellvertretende Staatsanwalt von St. Mark hält es für das Beste, Donté Drumms Verteidiger Robbie Flak ein Video mit Boyettes Aussage zu schicken. Aber als Keith den Patienten am Mittwochmorgen im Krankenhaus abholen will, um das Video aufzunehmen, ist das Bett leer. Und um 18 Uhr wartet Keith vergeblich im Übergangsheim auf Boyette. Erst als Keith und Dana bereits im Bett liegen, ruft der Gesuchte aus einem Diner an. Er habe Hunger, sagt er, könne aber ohne Geld nichts bestellen. Keith fährt zu ihm und gibt ihm ein Essen aus. Boyette möchte verhindern, dass Drumm hingerichtet wird und deshalb ungeachtet seiner Bewährungsauflagen nach Texas. Da er kein Auto hat, soll der Geistliche ihn hinbringen. Keith weiß, dass er sich strafbar macht, wenn er jemandem hilft, gegen Bewährungsauflagen zu verstoßen, aber er lässt sich überreden, noch in der Nacht mit dem notorischen Sexualstraftäter aufzubrechen. Die Fahrt wird bis Donnerstagmittag dauern.

In Slone brennen in dieser Nacht zwei Kirchen. Wegen der bevorstehenden Hinrichtung eines Afroamerikaners ist die Situation angespannt. Bürgermeister Harris Rooney befürchtet, dass es zu Rassenkrawallen kommen könnte.

Roberta Drumm übernachtet mit ihren Kindern Andrea, Cedric und Marvin in einem Motel am Stadtrand von Livingston, denn am Donnerstagmorgen dürfen sie Donté ein letztes Mal besuchen, bevor er von der Polunsky Unit in Livingston, dem Todestrakt, zur Hinrichtung ins Staatsgefängnis von Huntsville gebracht wird.

Robbie Flak und seine Mitarbeiter in der Kanzlei unternehmen alles, um Donté Drumms Leben zu retten. Aber bisher wurden alle Anträge abgelehnt. Noch nicht entschieden wurde über ein von der Psychologin Dr. Kristina („Kristi“) Hinze erstelltes Gutachten, in dem es heißt, Drumm sei geistesgestört. (Geisteskranke dürfen nicht hingerichtet werden.) Größere Hoffnung setzt Flak auf den Privatdetektiv Fred Pryor, der sich seit Tagen in Mission Bend, einer Vorstadt von Houston, darum bemüht, Joey Gamble zum Widerruf seiner anonymen Aussage zu bewegen. Gamble gibt zwar zu, gelogen zu haben, ist jedoch nicht bereit, eine eidesstattliche Erklärung zu unterschreiben, weil die Medien darüber berichten würden, er aber nicht möchte, dass seine Mutter von der Lüge erfährt. In der Nacht zum Donnerstag lädt Pryor Gamble in ein Striplokal ein und nimmt mit einem im Kugelschreiber versteckten Mikrofon auf, wie dieser die Lüge zugibt. Dann setzt er sich ins Auto, um die Aufzeichnung nach Slone zu bringen. Fünf Stunden wird die Fahrt dauern.

Am frühen Morgen ruft Keith in der Kanzlei von Drumms Verteidiger an. Auch am Mittwoch hatte er es mehrmals versucht, war aber nur einmal zu Robbie Flak durchgestellt worden, denn man hielt ihn für einen der zahlreichen Spinner, die vor geplanten Hinrichtungen anrufen, um sich mit irgendwelchen Hinweisen wichtig zu machen. Flak hatte sich Keiths Zusammenfassung von Travis Boyettes Geschichte angehört, war aber rasch zu der Auffassung gekommen, dass niemand dem notorischen Sexualverbrecher glauben würde. Nun kündigt Keith an, dass er gegen Mittag mit Boyette zu ihm kommen werde.

In der Kanzlei erkundigt sich Travis Boyette als erstes nach der von Cliff Yarber für die Ergreifung des Mörders seiner Tochter ausgesetzten Belohnung. Keith bleibt vor Schreck und Entsetzen der Mund offen. Aber dann wiederholt Boyette doch vor der Videokamera sein Geständnis und behauptet, die Leiche des von ihm mehrfach vergewaltigten und dann erdrosselten Mädchens am 6. Dezember 1998 in den Hügeln südlich von Joplin vergraben zu haben. Außerdem unterschreibt er eine eidesstattliche Erklärung. Kopien des Papiers und des Videos lässt Flak über die zum Verteidiger-Team in Austin gehörende Anwältin Cicely Avis dem Texas Court of Criminal Appeals überbringen. Ein weiterer Satz geht an Gill Newton, den Gouverneur von Texas, der zwar nicht befugt ist, die Hinrichtung abzusagen, der sie jedoch um dreißig Tage verschieben kann. In dieser Zeit wäre es möglich, mit Boyette zusammen nach dem Grab zu suchen. Falls Nicoles Leiche tatsächlich gefunden wird, muss der Mordfall neu aufgerollt werden. Dann sitzt wahrscheinlich ein Unschuldiger im Todestrakt.

Nachdem eine Assistentin des Gouverneurs das Video angeschaut hat, unterrichtet sie den Rechtsanwalt Wayne Wallcott darüber, einen der engsten Berater Newtons. Der will die Aufnahme jedoch nicht sehen und schärft der Assistentin ein, sie erst einmal zu behalten und darüber zu schweigen. Dadurch will er verhindern, dass der Gouverneur verunsichert wird und die Hinrichtung vielleicht doch noch im letzten Augenblick verschiebt, denn das könnte die Umfragewerte verschlechtern. Im schlimmsten Fall muss am Ende ein Sündenbock gefunden werden, der zugibt, die rechtzeitige Weitergabe des Videos versäumt zu haben.

Überraschend erklärt Joey Gamble sich nun doch noch bereit, zuzugeben, dass er der anonyme Anrufer war und seine damaligen Angaben nicht der Wahrheit entsprachen. Flak schickt ihn zu seiner Kollegin Agnes Tanner in Houston und ruft sie an, damit sie eine entsprechende eidesstattliche Erklärung vorbereitet. Bis 18 Uhr bleibt nur noch wenig Zeit.

Währenddessen fliegt Robbie Flak im Privatjet eines Freundes nach Huntsville, um ein letztes Mal mit seinem Mandaten zu reden und bei der Hinrichtung dabei zu sein. Begleitet wird er von Keith, der Journalistin Martha Handler, die ein Drehbuch über den Fall Donté Drumm schreiben will und Aaron Rey, der als Bodyguard, Chauffeur und Laufbursche für die Kanzlei arbeitet.

Der Gouverneur verkündet in einer kurzen öffentlichen Ansprache, er werde die Hinrichtung nicht verschieben.

Nachdem der Fifth Circuit Court of Appeals in New Orleans den Antrag um 16.21 Uhr abgelehnt hat, die Hinrichtung wegen der von Kristina Hinze attestierten Geisteskrankheit auszusetzen, wendet sich Flaks Kanzlei an den Supreme Court der USA in Washington, D. C.

Um 16.30 Uhr ruft Milton Prudlowe, der Vorsitzende Richter des Texas Court of Criminal Appeals, seine Kollegen zusammen. Die Diskussion dauert nur wenige Minuten. Die Richter lehnen es ab, die Hinrichtung aufgrund des in Form einer eidesstattlichen Erklärung und eines Videos übermittelten Geständnisses von Travis Boyette zu verschieben.

Inzwischen hat Joey Gamble die von Agnes Tanner vorbereitete eidesstattliche Erklärung unterschrieben. Bei der elektronischen Weitergabe an das Team der Verteidigung in Austin kommt es aufgrund eines Server-Problems zu einer Verzögerung. Die Anwälte kündigen die Aussage telefonisch im Texas Court of Criminal Appeals an, aber Prudlowe, der zum Golfspielen verabredet ist, lehnt es ab, die Amtszeit ausnahmsweise über 17 Uhr hinaus zu verlängern, und Emerson Pugh, der Leiter der Geschäftsstelle, führt die Anweisung pünktlich aus. Deshalb steht Cicely Avis um 17.07 Uhr mit Gambles eidesstattlicher Erklärung vor verschlossenen Türen.

Die Nachricht über die Unmöglichkeit, die neue Eingabe einzureichen, lässt in Flaks Büro in Slone die Wogen hochgehen.

Travis Boyette saß an einem Fenster im Besprechungsraum, den Stock über die Knie gelegt, und beobachtete die Menschen, die sich draußen gegenseitig anbrüllten. Fred Pryor, der sich in seiner Nähe hielt, tat das Gleiche.
Boyette, der nicht verstand, was da gerade vor sich ging, erhob sich und ging zum Konferenztisch. „Könnte mir mal jemand erklären, was los ist?“, fragte er.
„Ja klar. Wir verlieren gerade“, fuhr Carlos ihn an.
„Was ist mit meiner Aussage? Hat mir irgendjemand zugehört?“
„Nein. Das Gericht war alles andere als beeindruckt.“
„Die glauben, dass ich lüge.“
„Ja, Travis, die glauben, dass Sie lügen. Es tut mir leid. Wir glauben Ihnen, aber unsere Stimme zählt nicht.“
„Ich möchte mit den Reportern reden.“

Flaks Mitarbeiterin Samantha („Sammie“) Thomas schreibt Travis Boyette die Telefonnummer eines Journalisten auf, und die Kanzlei verschickt das Video mit dem Mordgeständnis an die Medien. Kurz darauf wird Boyette in einer Live-Übertragung interviewt. Erneut bestätigt er, das Mädchen vergewaltigt und erdrosselt zu haben.

Der Gouverneur sieht eine Aufzeichnung der Fernsehübertragung, beschließt jedoch, nichts zu unternehmen.

Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten lehnt es um 17.40 Uhr ab, sich mit dem Fall zu beschäftigen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Donté Drumm wird mit sieben Ledergurten auf einer Liege festgeschnallt. Ein medizinisch ausgebildeter Angestellter der Haftanstalt desinfiziert sorgfältig beide Armbeugen, bevor er Kanülen in die Venen sticht. Um 18 Uhr beginnt die Hinrichtung unter der Aufsicht des Gefängnisdirektors Ben Jeter. Durch ein Fenster schauen die Angehörigen des Opfers und des zum Tod Verurteilten sowie einige andere Zeugen zu, darunter Robbie Flak und Keith Schroeder, den der Verteidiger als Drumms Seelsorger ausgegeben hat. Nacheinander werden dem siebenundzwanzig Jahre alten angeblichen Mörder Natriumpentothal, Pancuroniumbromid und Kaliumchlorid injiziert. Dann stellt ein Arzt seinen Tod fest.

Der erfolgreiche Fernseh-Moderator Sean Fordyce, der schon vor Tagen ein längeres Interview mit Reeva und Wallis Pike aufgezeichnet hatte, kamt am Nachmittag mit einem Privatjet aus Florida, um als Höhepunkt mehrerer Sendungen über den Fall in einer Live-Sendung mit der Mutter des Opfers über deren Gefühle bei der Hinrichtung zu sprechen. Sie ist der Meinung, Drumm habe bei der Hinrichtung viel zu wenig gelitten. Schließlich sei Nicole von ihm zu Tode gequält worden. Als Fordyce merkt, dass Reeva noch nichts von Travis Boyette weiß, zeigt er ihr einen Ausschnitt aus dem Interview. Ihre Verwirrung ist in Großaufnahme zu sehen. Hat sich ihr Zorn gegen einen Unschuldigen gerichtet?

In Slone werden mehrere Autos angezündet. Roberta Drumm und ihr Seelsorger Johnny Canty, der Pfarrer der Bethel-African-Methodist-Kirche in Slone, wenden sich mit Aufrufen gegen Gewalt an die Öffentlichkeit.

Am nächsten Morgen fahren Robbie Flak, einige seiner Mitarbeiter, Keith und ein Reporter mit Boyette nach Missouri. Dreißig Kilometer südlich von Joplin sucht Boyette nach dem Grab. Er hat Schwierigkeiten, den Weg zu finden, aber in der näheren Umgebung erinnert er sich immer wieder an Einzelheiten, bis er meint, nun könne mit einem Metalldetektor die genaue Stelle festgestellt werden. Flak lässt Boyette genau beschreiben, wie die Werkzeugkiste aussieht, in der er Nicoles Leiche vergrub und was darin außer dem Skelett liegt. Die Angaben stimmen bis in die Einzelheiten. Davon können die Männer sich überzeugen, als sie die Kiste freilegen und Boyette das Zahlenschloss öffnet. Der Gürtel, mit dem Boyette das Mädchen erdrosselte, ist noch da. Neben dem Schädel liegen Kleidung und Unterwäsche der Toten, eine Kreditkarte und ein Führerschein.

Boyette bricht mit einem neuen Anfall zusammen und verliert das Bewusstsein. Keith bringt ihn nach Joplin in ein Krankenhaus.

Währenddessen ruft Flak den zuständigen Sheriff an und berichtet von dem Leichenfund. Kurz darauf wimmelt es an der Stelle vor Polizisten. Die Kiste wird aus der Erde geholt und ins kriminaltechnische Labor in Joplin gebracht.

Als zwei Deputys im Krankenhaus eintreffen, um Boyette dort zu bewachen, ist das Bett leer, und es fehlt jede Spur von ihm.

Flak ist frustriert: Hätten sie gerade mal einen Tag mehr Zeit gehabt, um nach dem Grab zu suchen, wäre es möglich gewesen, die Hinrichtung eines Unschuldigen zu verhindern.

In einer Pressekonferenz am Samstagmorgen prangert er die Polizei, die Justiz und die Politik an, namentlich vor allem Gouverneur Gill Newton, Richter Milton Prudlowe, die ehemalige Richterin Vivian Grale, Staatsanwalt Paul Koffee und Detective Drew Kerber. (Die Detectives Jim Morrissey und Nick Needham waren vor einiger Zeit aus Slone fortgezogen.) Ausdrücklich weist er darauf hin, dass seine Kollegin Cicely Avis um 17.07 Uhr vor dem geschlossenen Eingang des Texas Court of Criminal Appeals in Austin stand, obwohl sie eine weitere Eingabe angekündigt hatte und eine Hinrichtung um 18 Uhr anstand. Auf Flaks Erklärung, er habe das Video mit Boyettes Geständnis am Nachmittag vor der Hinrichtung auch dem Gouverneur geschickt, antwortet dessen Pressesprecher Barry Ringfield später, der Gouverneur habe das Video erst sechzehn Stunden nach der Hinrichtung bekommen. Flak kündigt eine Klagewelle gegen alle an, die maßgeblich zu Donté Drumms Verurteilung beitrugen bzw. es unterließen, die Hinrichtung wenigstens zu verschieben. Es geht ihm um Gerechtigkeit, aber auch um Rache, Eitelkeit und Geld.

Sperma-Spuren in der Werkzeugkiste, in der Nicole Yarber lag, können trotz des Alters noch für einen DNS-Vergleich verwendet werden. Sie stammen von Travis Boyette.

Keith steht zu seiner Straftat, der Beihilfe zur Verletzung von Bewährungsauflagen. Er will nicht darauf hoffen, dass das Vergehen unentdeckt bleibt und bei jedem sich nähernden Streifenwagen erschrecken. Rechtsanwalt Elmo Laird, der den Fall übernimmt, hofft auf eine geringfügige Strafe, befürchtet jedoch Schlimmes für den Fall, dass Boyette noch eine Frau vergewaltigt oder gar umbringt, denn dann würde es heißen, der Reverend sei durch die Fluchthilfe mitschuldig.

Boyette ruft Keith überraschend an und gibt zu, über seinen Gesundheitszustand gelogen zu haben. In seinem Gehirn befindet sich zwar tatsächlich ein Tumor, aber es handelt sich um ein Meningeom Grad I, ein nicht lebensbedrohliches gutartiges Geschwür.

Als ein Mann namens Enrico Munez in seinem Auto vor dem Einkaufszentrum in Overland Park, Kansas, auf seine Frau wartet, beobachtet er, wie die junge Kassiererin Lilly Reed von einem Mann überfallen und in einen VW-Käfer gezerrt wird. Ohne lang nachzudenken, fährt er los, rammt den VW, springt mit einem Baseballschläger in der Hand aus dem Wagen und überwältigt den Täter. Die Polizei findet rasch heraus, dass es sich bei dem Verbrecher um Travis Boyette handelt. Am 22. Dezember 2007 wird Anklage gegen ihn erhoben.

Sechs Tage später verurteilt ein Gericht in Topeka Keith Schroeder zur Zahlung von 1000 Dollar. Die Haftstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Simon Priester, der zuständige Bischof, suspendiert Keith von seinen seelsorgerischen Aufgaben. Der Reverend reagiert darauf mit einer Kündigung. Er zieht mit Dana nach Austin und löst dort den aus Altersgründen ausscheidenden Dr. Marcus Collins als Hauptpfarrer der Unity Lutheran Kirche ab.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Der Justizthriller „Das Geständnis“ veranschaulicht auf eindrucksvolle Weise die Fragwürdigkeit der Todesstrafe. John Grisham lässt keinen Zweifel daran, dass er sie vehement ablehnt, nicht zuletzt, weil Justizirrtümer nach der Vollstreckung nicht mehr zu korrigieren sind. Zugleich kritisiert er Polizei, Justiz und Politik. Er prangert Ermittler an, die mit unlauteren Mitteln Geständnisse erzwingen und Zeugen beeinflussen, Richter, die einen Angeklagten aufgrund fadenscheiniger Beweise verurteilen und Politiker, die aus Sorge um ihre Umfragewerte über Leichen gehen. Nebenbei thematisiert John Grisham in „Das Geständnis“ auch den Rassismus in den USA und beleuchtet die Rolle der Medien. Die kenntnisreichen Ausführungen über die amerikanische Justizmaschinerie beeinträchtigen nicht die Lesbarkeit des Romans, im Gegenteil, John Grisham versteht es, aus den Missständen Funken zu schlagen. Schade ist, dass er sich nicht von Klischees freigemacht hat und rassistische, korrupte, heuchlerische, bigotte, weiße Vertreter der Staatsmacht gegen rechtschaffene, gläubige, für Gewaltfreiheit eintretende schwarze Justizopfer stellt.

Die auf vierzehn Seiten mit kleingedrucktem Text (89 – 103) realistisch inszenierte, mit einem verhängnisvollen Geständnis endende Vernehmung von Donté Drumm ist einer der Höhepunkte des Romans. Es ist gut nachvollziehbar, wie die ebenso erfahrenen wie skrupellosen Ermittler dem arglosen Schüler so lange zusetzen, bis er nach zwölf Stunden zusammenbricht und alles gesteht, was sie von ihm erwarten, obwohl er nichts davon getan hat.

Schon sehr früh erfahren wir, wer die siebzehnjährige Schülerin Nicole Yarber umgebracht hat und dass ein Unschuldiger wegen des Mordes zum Tod verurteilt wurde. Es geht also nicht um das whodonit, sondern erst einmal um die Frage, ob die Hinrichtung noch im letzten Augenblick verhindert werden kann. Für die Verteidiger ist es ein Wettlauf mit der Zeit. Geschickt zieht John Grisham die Spannung in den ersten beiden Dritteln des Buches immer weiter an. Dabei wechselt er ständig zwischen den Handlungssträngen, die er chronologisch und parallel vorantreibt, bis wir auf Seite 346 erfahren, ob die Bemühungen, den siebenundzwanzig Jahre alten Afroamerikaner Donté Lamar Drumm vor der Todesspritze zu retten, erfolgreich sind oder nicht.

Das Buch hat allerdings nicht 346, sondern 525 Seiten. Im letzten Drittel geht es um die Aufarbeitung des Falls. Um auch hier noch Suspense zu erzeugen, deutet John Grisham mehrmals an, dass der flüchtige Mörder der Ehefrau des Geistlichen Keith Schroeder etwas antun könnte. Und er lässt uns lange Zeit im Ungewissen darüber, wie hoch die zu erwartende Strafe gegen Keith ausfallen wird, der zwar Zivilcourage bewies, dabei aber gleichzeitig einem Mörder zur Flucht verhalf. Dass die Spannung in diesem Teil des Romans „Das Geständnis“ weit hinter der in den ersten beiden Dritteln erreichten zurückbleibt, liegt auf der Hand. Bei einem Thriller sollte der Kulminationspunkt jedoch erst am Ende erreicht werden.

Den Roman „Das Geständnis“ von John Grisham gibt es auch in einer gekürzten Fassung als Hörbuch, gelesen von Charles Brauer (Bearbeitung: Joachim Hoell, Regie: Oliver Versch, Köln / Hamburg 2011, 6 CDs, ISBN 978-3-8371-0903-0).

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Textauszüge: © Wilhelm Heyne Verlag

John Grisham (kurze Biografie / Bibliografie)

John Grisham: Die Firma
John Grisham: Der Klient (Verfilmung)
John Grisham: Die Kammer
John Grisham: Der Verrat
John Grisham: Das Urteil (Verfilmung)
John Grisham: Das Fest
John Grisham: Die Schuld
John Grisham: Der Anwalt
John Grisham: Das Komplott
John Grisham: Die Erbin
John Grisham: Der Gerechte
John Grisham: Bestechung
John Grisham: Das Original
John Grisham: Das Bekenntnis
John Grisham: Die Wächter
John Grisham: Das Manuskript
John Grisham: Der Verdächtige

Andrea Maria Schenkel - Finsterau
Ohne die Charaktere tiefer auszuleuchten, erzählt Andrea Maria Schenkel eine archaisch-einfache Geschichte. Wie sie das aufs Wesentliche verknappt, multiperspektivisch und im Wechsel zwischen zwei Zeitebenen tut, ist das Besondere an "Finsterau".
Finsterau