John Grisham : Die Schuld

Die Schuld
The King of Torts Doubleday, New York 2003 Die Schuld Übersetzung: Bernhard Liesen, Bea Reiter, Kristiana Ruhl Imke Walsh-Araya Heyne Verlag, München 2003 ISBN 978-3-453-86856-4, 448 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nachdem Clay fünf Jahre lang als schlecht bezahlter Pflichtverteidiger gearbeitet hat, lässt er sich auf ein dubioses Projekt ein und steigt mit Sammelklagen rasch zu einem Millionen scheffelnden Anwalt mit eigenem Privatjet auf. Aber dann investiert er Millionen in einen aussichtslosen Fall und muss Gläubigerschutz beantragen ...
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Kritik

"Die Schuld" ist kein Justizthriller, sondern ein gesellschaftskritischer Roman. John Grisham versteht sich darauf, Schwachstellen im US-amerikanischen Rechtssystem aufzuzeigen. Um die Unkultur von Sammelklagen und außergerichtlichen Vergleichen anzuprangern, hätten aber zwei oder drei Beispiele gereicht.
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Tarvan

Der 20-jährige Afroamerikaner Tequila Watson erschießt in Washington, D. C., auf offener Straße den ebenfalls schwarzen Rámon Pumphrey. Nach der Festnahme leugnet er die Tat nicht, weiß aber offenbar selbst nicht, warum er den Mann mit mehreren Kopfschüssen tötete. Wegen Drogendelikten ist Tequila Watson mehrfach vorbestraft, aber er fiel nie wegen Gewalttätigkeiten auf, und in dem Erziehungsheim, in dem er zuletzt wohnte, heißt es, er sei eher furchtsam als aggressiv gewesen.

Als Pflichtverteidiger wird ihm der 31-jährige Rechtsanwalt Jarrett Clay Carter II. zugeteilt, der seit fünf Jahren beim Office of the Public Defender tätig ist.

Seine drei Jahre jüngere Freundin Rebecca Allison van Horn arbeitet als Assistentin eines Unterausschuss-Vorsitzenden im Kongress. Clay kann ihre neureichen und eingebildeten Eltern Barbara und Bennett nicht ausstehen, und als der Bauunternehmer versucht, ihm über sein Netzwerk einen besser bezahlten Job zu vermitteln, lehnt Clay das Angebot brüsk ab. Darüber geht auch die Beziehung von Clay und Rebecca in die Brüche.

Ein Fremder, der sich am Telefon als Headhunter ausgibt, nimmt Kontakt mit ihm auf. Er nennt sich Max Pace, deutet jedoch an, dass das nicht sein richtiger Name ist. Er sei gerade dabei, für einen multinationalen Pharmakonzern ein Problem zu lösen, erklärt er. Das Unternehmen entwickelte ein Medikament gegen Drogenabhängigkeit. In Mexiko, Singapur und Belgrad heimlich durchgeführte Studien zeigten, dass es sehr viel wirksamer als Methadon. Als nun das Unternehmen Tarvan − so nennt Max Pace das Medikament − auch in den USA erproben wollte, wurden einige Probanden wie Tequila Watson nicht geheilt. Stattdessen töteten sie ohne erkennbaren Grund. Deshalb zog die Firma das Präparat vor sechs Tagen zurück. Nun besteht Max Paces Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass die Zusammenhänge niemals bekannt werden. Er sucht deshalb einen Rechtsanwalt wie Clay, der die Hinterbliebenen der sieben Opfer als Mandanten gewinnt, ihnen zu Entschädigungen verhilft, sie von juristischen Klagen abhält und zum Schweigen verpflichtet. Die Betroffenen gehen von Tötungsdelikten ohne erkennbare Motive aus und ahnen nicht, dass sie Ansprüche gegen ein Unternehmen haben. Weil weder das Medikament noch der Hersteller bekannt sind, gibt es keine Klagemöglichkeit. Eine Entschädigung bekommen die Hinterbliebenen nur, wenn sie sich auf die vorgeschlagenen Abmachungen einlassen.

Clay kündigt beim OPD, legt das Mandat nieder und eröffnet eine eigene Kanzlei, in der er einige seiner bisherigen Kollegen einstellt, darunter den afroamerikanischen Anwaltsassistenten Rodney Albritton.

Dyloft

Nach der Abwicklung des Tarvan-Falls spielt Max Pace dem aufstrebenden Juristen gestohlene Laborstudien zu, die beweisen, dass das Pharma-Unternehmen Ackerman Labs das Medikament Dyloft gegen Arthritis anbietet, obwohl es längst weiß, dass dadurch als Nebenwirkungen Blasentumore ausgelöst werden. Mit seinem ersten Auftrag verdiente Clay so viel, dass er es sich nun leisten kann, Dyloft-Konsumenten mit Fernsehspots aufzufordern, bei einer von ihm eingerichteten Hotline anzurufen. Auf diese Weise sammelt er Mandanten.

Die FDA nimmt Dyloft vom Markt, und auch die Berichterstattung in den Medien sorgt dafür, dass der Kurs der Ackerman-Aktie einbricht. Das war zu erwarten, und Clay befolgte Max Paces Rat, rechtzeitig Leerverkäufe zu tätigen.

Eine Reihe von berüchtigten Anwälten, die sich auf lukrative Sammelklagen spezialisiert haben − allen voran F. Patton French, M. Wesley Saulsberry und Carlos Hernández − schließt sich der Kampagne an.

Um eine gerichtliche Auseinandersetzungen mit verheerenden Folgen für das Ansehen in der Öffentlichkeit zu vermeiden, lässt sich Ackerman Labs auf einen für ungefähr 40 000 Kläger gültigen Vergleich ein.

Einer von ihnen ist Ted Worley in Upper Marlboro/Maryland. Als er erfährt, dass das Unternehmen zwar 62 000 $ Entschädigung pro Kläger zahlte, er aber nach Abzug der Anwaltskosten nur 42 240 $ erhält, richtet sich sein Zorn auf die geldgierigen Juristen, denen der Vergleich Millionen-Summen einbrachte. Und viele der anderen Geschädigten empfinden wie er.

Ein Leben auf der Überholspur

Zum Entsetzen seines Buchhalters Rex Crittle schafft sich Clay nicht nur ein Luxusauto an, sondern auch einen Privatjet.

Als Rebecca Allison van Horn den erfolgreichen Rechtsanwalt Jason Shubert Myers IV. heiratet, engagiert Clay das aufregend aussehende Model Ridal („Ridley“) Petashnakol als Begleiterin und mischt sich uneingeladen unter die Hochzeitsgäste im Potomac Country Club in McLean/Virginia, bis ihn die Familie der Braut hinauswirft.

Ridley nutzt die Gelegenheit, wird die Freundin des Geld scheffelnden Anwalts und verbringt viel Zeit mit Shopping. Als er eine Villa in Gustavia auf der Insel Saint-Barthélemy kauft, übernimmt sie die Einrichtung und bleibt erst einmal dort. Sobald ihr danach ist, ihn zu sehen, ordert sie seinen Privatjet.

Hanna Portland Cement

Die Hanna Portland Cement Company in Reedsburg/Pennsylvania weiß bereits, dass vor einigen Jahren eine fehlerhafte Charge Mörtel ausgeliefert wurde, die Reparaturen erforderlich macht. Der CEO Marcus Hanna ist bestrebt, die Fälle zu untersuchen und den Betroffenen bei der Behebung der Schäden zu helfen.

Unerwartet strengt jedoch die Kanzlei von Jarrett Clay Carter II. eine Sammelklage gegen das Unternehmen an. Hanna wird dadurch ruiniert. In Reedsburg spricht sich herum, dass die Firma zusammenbrach und die Arbeitsplätze verloren gingen, weil die Rechtsanwälte der Kläger unbezahlbare Entschädigungssummen verlangten und auch nicht bereit waren, ihre eigenen Honorarforderungen zu reduzieren.

Skinny Ben

Das Pharma-Unternehmen Healthy Living bietet mit Benatoxadil ein mit „Skinny Ben“ beworbenes Präparat zum Abnehmen an. Weil eine Mitralklappeninsuffizienz zu den möglichen Nebenwirkungen gehört, rekrutieren Clay und andere Anwälte Geschädigte für eine Sammelklage. Aber bevor sie sich versehen, beantragt Healthy Living Gläubigerschutz, und sowohl die Juristen als auch ihre Mandanten gehen leer aus.

Maxatil

Das Pharma-Unternehmen Goffman vermarktet Maxatil, ein Hormanpräparat für Frauen in der Menopause und danach. Dale Mooneyham, ein älterer renommierter Rechtsanwalt in Tucson/Arizona, der außergerichtliche Vergleiche und Sammelklagen verabscheut, vertritt eine an Brustkrebs erkrankte Frau und will vor Gericht nachweisen, dass Maxatil die Ursache war.

Max Pace setzt Clay auf Maxatil an. Weder F. Patton French noch einer der anderen auf Sammelklagen spezialisierten Anwälte springt mit auf. Clay investiert Millionen in Fernsehspots, um möglichst viele Mandanten zu gewinnen und nach dem erwarteten Sieg Dale Mooneyhams im Prozess gegen Goffman eine Sammelklage einzureichen, die ihm weitere Millionen einbringen könnte.

Absturz

Helen Warshaw, eine Rechtsanwältin in New York, vertritt Ted Worley und andere Patienten, die sich nach der Einnahme von Dyloft der Sammelklage gegen Ackerman Labs angeschlossen hatten und inzwischen wegen bösartiger Nierentumore nicht mehr lang zu leben haben. Im Namen ihrer Mandanten klagt sie gegen J. Clay Carter, F. Patton French, M. Wesley Saulsberry und andere Kollegen wegen Verletzung der Anwaltstreuepflicht.

Zwei FBI-Agenten − Lohse und Spooner − befragen Clay nach „Max Pace“ und nennen ihm auch andere falsche Namen des Mannes, nach dem wegen Insiderhandels und Wertpapierbetrugs gefahndet wird. Clay weiß nicht, wo der Mann, der ihm zuletzt noch eine Million abschwatzte, untergetaucht ist. Und weil er ebenso wie Max Pace mit illegalen Leerverkäufen vor geplanten Angriffen auf Unternehmen viele Millionen verdiente und deshalb auch gegen ihn ermittelt wird, lässt er sich von dem afroamerikanischen Kollegen Zack Battle beraten.

Clay wird von zwei Männern in einen Hinterhalt gelockt und so zusammengeschlagen, dass er im Krankenhaus operiert werden muss. Bei den Tätern handelt es sich vermutlich um ehemalige Mitarbeiter der Hanna Portland Cement Company in Reedsburg.

Dale Mooneyhams Verfahren in Flagstaff endet überraschend mit einer Niederlage des erfahrenen Anwalts. Das bedeutet, dass Clays Vorhaben aussichtslos ist und er Millionen fehlinvestiert hat. Er beauftragt den auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt Mark Munson, Gläubigerschutz für ihn zu beantragen.

Nachdem Rebecca die Scheidung ihrer Ehe beantragt hat, fliegt sie mit Clay nach London. Dort hoffen die beiden auf einen gemeinsamen Neuanfang.

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„Die Schuld“ ist kein Justizthriller, sondern ein gesellschaftskritischer Roman über den kometenhaften Aufstieg und späteren Absturz eines amerikanischen Anwalts, der vorübergehend mit Sammelklagen ein Vermögen verdient. Mit dieser Geschichte kritisiert John Grisham das Unwesen von Sammelklagen und außergerichtlichen Vergleichen, bei denen skrupellose Anwälte Millionen-Honorare kassieren, die Geschädigten aber zuweilen mit unzureichenden Summen abgespeist werden, weil das betroffene Unternehmen sonst bankrott gehen würde und gar nichts zahlen könnte. Die Zahlungsunfähigkeit der Beklagten zu verhindern, liegt auch im Interesse der Anwälte, aber es kommt vor, dass sie das „Spiel“ in ihrer Gier überreizen und die Gans, die goldene Eier legen soll, versehentlich schlachten. In diesem Fall erweitert sich der Kreis der Geschädigten um die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren.

John Grisham versteht sich darauf, Schwachstellen im US-amerikanischen Rechtssystem aufzuzeigen. Das ist auch in „Die Schuld“ so. Um die Unkultur der Sammelklagen anzuprangern, hätten aber zwei oder drei Beispiele gereicht. Die weiteren Fälle liefern nichts Neues und dienen nur dazu, die Seitenzahl des Buches zu erhöhen. (Und der Tarvan-Fall wirkt außerdem abstrus.)

Auch wenn John Grisham seinen Roman „Die Schuld“ vielleicht besser gekürzt hätte, bietet er damit eine packende Lektüre.

Den Roman „Die Schuld“ von John Grisham gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Charles Brauer (Regie und Bearbeitung: Margrit Osterwold).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021

John Grisham (kurze Biografie / Bibliografie)

John Grisham: Die Firma
John Grisham: Der Klient (Verfilmung)
John Grisham: Die Kammer
John Grisham: Der Verrat
John Grisham: Das Urteil (Verfilmung)
John Grisham: Das Fest
John Grisham: Der Anwalt
John Grisham: Das Geständnis
John Grisham: Das Komplott
John Grisham: Die Erbin
John Grisham: Der Gerechte
John Grisham: Bestechung
John Grisham: Das Original
John Grisham: Das Bekenntnis
John Grisham: Die Wächter
John Grisham: Das Manuskript
John Grisham: Der Verdächtige

Romy Hausmann - Liebes Kind
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