Henning Mankell : Die Pyramide

Die Pyramide
Originalausgabe: Pyramiden Ordfront Verlag, Stockholm 1999 Die Pyramide in: Wallanders erster Fall Übersetzung: Wolfgang Butt Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002 Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004 ISBN 3-423-20700-0, 425 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Während Kriminalkommissar Kurt Wallander noch mit den Ermittlungen über den Absturz eines Privatflugzeugs beschäftigt ist, wird das Handarbeitsgeschäft zweier Schwestern in Brand gesteckt, und die Besitzerinnen kommen dabei ums Leben. Ausgerechnet jetzt muss er sich um seinen eigenwilligen Vater kümmern, der in Kairo eingesperrt wurde, weil er auf die Cheops-Pyramide steigen wollte.
mehr erfahren

Kritik

In fünf Erzählungen unter dem Buchtitel "Wallanders erster Fall" beleuchtet Henning Mankell das Leben des Protagonisten seiner Romanreihe über Kurt Wallander in der Zeit, bevor dieser am 8. Januar 1990 im ersten Roman auftrat.
mehr erfahren

Am 11. Dezember 1989 um 5 Uhr morgens stürzt eine einmotorige Piper Cherokee westlich von Mossby Strand ab. Nach Abschluss der Löscharbeiten findet die Polizei in dem Flugzeugwrack zwei verkohlte Leichen. Bei der Flugsicherung war keine Maschine zur angebenenen Zeit in diesem Gebiet gemeldet. Ein in der Nähe der Unglücksstelle lebender, etwa fünfundsiebzig Jahre alter Mann namens Robert Haverberg sagt aus, er habe das Flugzeug zuerst landeinwärts fliegen gehört, zwanzig Minuten später sei es zurückgekommen, und dann habe es einen lauten Knall gegeben. Auch ein südwestlich von Sjöbo wohnender Mann will das Flugzeug gehört und in den Himmel gerichtete Scheinwerfer gesehen haben. Das deutet auf die Markierung einer Abwurfstelle hin. Wurde da etwas nach Schweden geschmuggelt? Womöglich Drogen?

Kurt Wallander, der die Ermittlungen leitet, verhört zwischendurch den siebenunddreißigjährigen Yngve Leonard Holm, der seit Mitte der Achtzigerjahre in Ystad gemeldet ist und eine Luxusvilla besitzt, obwohl er seinen Lebensunterhalt angeblich als fliegender Händler von Taschenbüchern verdient. Hohe Gewinne bei Pferdewetten und Glücksspielen im Ausland hätten ihm den Kauf des Anwesens erlaubt, behauptet er. Wallander ist überzeugt, dass Holm mit Drogen handelt, aber er kann ihm nichts nachweisen und ihn deshalb auch nicht festnehmen.

Vor zwei Monaten wurde Kurt Wallander von seiner Ehefrau Mona verlassen. Seither lebt sie mit ihrer Tochter Linda, die inzwischen eine Lehre in einer Möbelpolsterei angefangen hat, in Malmö. Wallander bedauert es, dass er sich auf eine leidenschaftslose Liebesaffäre mit der Krankenschwester Emma Lundin eingelassen hat, aber er bringt es nicht übers Herz, Schluss mit ihr zu machen.

Seinen fast achtzig Jahre alten Vater kann er nicht von einer bereits gebuchten Ägyptenreise abbringen. Am 14. Dezember fährt Kurt Wallander ihn frühmorgens nach Malmö. Sein Vater fliegt mit einem Wasserflugzeug hinüber zum Flughafen von Kopenhagen, und von dort mit einer Linienmaschine nach Kairo.

Mitten in dieser Nacht war der Kriminalkommissar geweckt worden. Jemand hatte das Handarbeitsgeschäft der Schwestern Anna und Emilia Eberhardsson angezündet; es war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Erst am Morgen gelang es der Feuerwehr, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. In der Ruine lagen die verkohlten Leichen der Besitzerinnen. Allerdings waren sie schon vor dem Feuerausbruch tot gewesen: Man hatte sie durch Genickschüsse regelrecht hingerichtet. Wer erschießt zwei von ihren Kundinnen wegen ihrer Freundlichkeit geschätzte alte Damen, die Knöpfe und Nähgarn verkaufen?

In den Resten des Hauses stößt die Polizei auf einen besonders teuren Safe. Einem Fachmann gelingt es, ihn mit einem Spezialschweißgerät zu öffnen. Wallander befürchtet schon, der Safe könne leer sein, aber er enthält Dollarnoten und andere Geldbündel im Wert von etwa 5 Millionen schwedischen Kronen. Außerdem besaßen die beiden Schwestern ungefähr 10 Millionen Kronen in Wertpapieranlagen. In ihren Einkommenssteuererklärungen hatten sie allerdings nur die bescheidenen Einkünfte aus ihrem Handarbeitsladen angegeben.

Linnea Gunnér, eine sechsundsechzig Jahre alte Nachbarin der ermordeten Schwestern, äußert im Gespräch mit Kurt Wallander die Vermutung, dass Anna und Emilia Eberhardsson jedes Jahr mehrmals abwechselnd nach Marbella flogen und dort ein Haus besaßen.

Währenddessen gehen auch die polizeilichen Ermittlungen über den Flugzeugabsturz weiter. Die Kennzeichen der abgestürzten Maschine waren zwar abgeschabt und übermalt worden, aber man findet heraus, dass es sich um eine 1986 wegen Benzinmangels in Vientiane abgestürzte Maschine handelte, die damals einem laotischen Konsortium gehört hatte und offiziell als Schrott abgemeldet worden war.

Im Umkreis der mutmaßlichen Abwurfstelle wohnen nur Bauern, mit einer Ausnahme: Auf dem Hof Längelunda soll Yngve Leonard Holm leben. Ausgerechnet der Mann, den Wallander für einen Dealer hält und der eine teure Villa in Ystad besitzt! Er kann ihn nicht befragen, denn seit dem Vortag ist er verschwunden.

Am 15. Dezember erfährt Kurt Wallander, dass sein Vater in Kairo verhaftet wurde, weil er trotz des Verbots die Cheopspyramde hatte besteigen wollen. Am nächsten Morgen besorgt er sich ein Ticket nach Kairo. Zum Glück verfügt er gerade über ausreichend Geld, weil er einen Kredit für den Kauf eines neuen Gebrauchtwagens aufgenommen hat. Ein ägyptischer Polizeibeamter namens Hassaneyh Radwan hilft ihm, seinen eigensinnigen Vater auszulösen, obwohl der lieber zwei Jahre Gefängnis riskieren als das geforderte Bußgeld bezahlen will. Von dem Kredit bleibt so gut wie nichts übrig.

Mit der nächsten Maschine fliegt der Kriminalkommissar zurück. Inzwischen fand man in einem Wald bei Sjöbo die Leiche von Yngve Leonard Holm. Jemand hatte ihn durch einen Genickschuss getötet, wie die Anna und Emilia Eberhardsson. Handelt es sich um denselben Täter? Besteht zwischen dem Flugzeugabsturz, Holm und dem Mord an den Schwestern ein Zusammenhang?

Bei den toten Piloten der Piper Cherokee, die nur anhand ihrer Zahnabdrücke identifiziert werden konnten, handelt es sich um Ayrton McKenna, einen vierundvierzigjährigen Hubschrauberpiloten aus Süd-Rhodesien, der in England und Hongkong wegen Drogen– bzw. Menschenschmuggels zu Haftstrafen verurteilt worden war, und einen elf Jahre jüngeren, ebenfalls wegen Schmuggels vorbestrafen Madrilenen namens Pedro Espinosa, der zuletzt in Marbella wohnte. In Marbella, wo die Schwestern ein Haus besaßen!

In einem Reisebüro nahe des Handarbeitsgeschäfts erfährt Wallander, dass Anna und Emilia Eberhardsson stets erster Klasse flogen und die Tickets bar bezahlten. Anna Eberhardsson hielt sich zuletzt drei, vier Wochen ab 10. August in Marbella auf. Vom 12. bis 17. August war auch Yngve Leonard Holm in Marbella.

In dem verwahrlosten Haus bei Sjöbo, in dem der Tote zuletzt gelebt hatte, stößt Wallander auf einen Zweiunddreißigjährigen namens Rolf Nyman. Angeblich schläft in einem der Zimmer ein Mädchen mit Rauschgiftproblemen, um das er sich kümmert. Hin und wieder helfe er als Diskjockey aus, sagt er. Wallander denkt an das Licht, an dem die Piloten des später abgestürzten Flugzeuges sich orientiert hatten und fragt bei den Diskotheken, in denen Nyman arbeitet, nach Scheinwerfern. Bei der dritten Adresse wird er fündig: Linda Boman, die kaum fünfundzwanzigjährige Besitzerin, gibt an, dass ihr im Januar sechs starke Scheinwerfer gestohlen wurden. Von einer drogensüchtigen Freundin Nymans weiß sie nichts, aber er selbst habe ihr gestanden, heroinabhängig zu sein. Zu merken sei davon nichts gewesen.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Linda Boman hilft schließlich mit, Nyman aus dem Haus zu locken, indem sie ihn anruft und ihn bittet, für einen angeblich ausgefallenen Diskjockey aus Kopenhagen einzuspringen. Sobald er das Haus verlassen hat, dringt Wallander mit seinen Kollegen Svedberg und Martinsson dort ein, während Hansson – der zu ihnen gehört – in der Diskothek aufpasst und mit ihnen über Funk Kontakt hält. Trotz stundenlanger Suche finden die Beamten keinerlei belastendes Material gegen Rolf Nyman. Während Svedberg und Martinsson nach Ystad zurückfahren, bleibt Wallander noch eine Weile in dem Haus, um nachzudenken. Als der Hund im Zwinger zu bellen aufhört, ahnt er Gefahr. Da wird auch schon durch ein Fenster auf ihn geschossen. Er sitzt in der Falle, aber es gelingt ihm, die Haustür aufzutreten und Nyman niederzuschießen.

Es stellt sich heraus, dass die örtliche Polizei ausgerechnet in dieser Nacht eine Razzia in der Diskothek durchführte und alle Angestellten zum Verhör mitnahm. In dem Chaos verstand Hanssen am Funkgerät, seine Kollegen seien alle zusammen auf dem Weg nach Ystad, und weil er annahm, dass Nyman mit den anderen Mitarbeitern der Diskothek im Polizeigewahrsam war, unternahm er nichts weiter. Er hatte übersehen, dass der Verdächtige durch einen Hinterausgang entkommen war.

Nyman gibt zu, er sei beim Kauf eines Reißverschlusses in dem Handarbeitsladen in Ystad auf die Idee gekommen, Anna und Emilia Eberhardsson dafür zu gewinnen, dass sie in Marbella den Empfang und die Weiterleitung aus Asien und Mittelamerika stammender Rauschgiftlieferungen organisierten, das schließlich von Norddeutschland aus im Tiefflug nach Schweden eingeflogen und abgeworfen wurde. Als er merkte, dass Yngve Leonard Holm und die beiden Schwestern ihn übervorteilen wollten, richtete er sie alle drei regelrecht hin.

„Die Pyramide“ gibt es übrigens auch in der Reihe „dtv großdruck“: ISBN 3-423-25216-2, 272 Seiten, 8 € (D).

Nach Motiven der Erzählung „Die Pyramide“ drehten Micke Hjorth (Buch) und Daniel Lind Lagerlöf (Regie) 2007 den Film „Henning Mankell. Wallanders letzter Fall“.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Die fünf in dem Band „Wallanders erster Fall“ zusammengefassten Erzählungen bilden einen Prolog zu der Kriminalroman-Reihe, die Henning Mankell über den Protagonisten Kurt Wallander geschrieben hat: „Mörder ohne Gesicht“ (1991), „Hunde von Riga“ (1992), „Die weiße Löwin“ (1993), „Der Mann, der lächelte“ (1994), „Die falsche Fährte“ (1995), „Die fünfte Frau“ (1996), „Mittsommermord“ (1997), „Die Brandmauer“ (1998). „Wallanders erster Fall“ wurde jedoch erst 1999 – also nach den Romanen – veröffentlicht, um nachträglich die Vorgeschichte der Hauptfigur zu beleuchten.

Was war mit Wallander, bevor die Romanserie beginnt? Also, um Datum und Uhrzeit genau zu bestimmen, vor dem frühen Morgen des 8. Januar 1990. Was war, bevor Wallander an jenem winterlichen Morgen erwacht und der Fall Mörder ohne Gesicht beginnt? Wer war dieser Wallander? In den einzelnen Bänden der Serie finden sich immer wieder Andeutungen. Doch Genaues erfährt man nicht. Wallander kehrt in Gedanken ständig zu dem Tag zurück, an dem er als junger Polizist von einem Messerstecher überfallen wurde, ein Erlebnis, das sein ganzes Leben geprägt hat.
Die vielen brieflichen Anfragen hatten zur folge, dass ich selbst anfing, darüber nachzudenken […]
Wallander ist für viele ein lebendiger Mensch geworden […] Auch wenn alle im Innersten natürlich wissen, dass er nur in der Vorstellung existiert. Aber er hat trotzdem eine Vergangenheit. Er war einmal jung. In diesen Erzählungen versuche ich, einige der frühesten Teile seines Lebens, so wie ich sie mir vorstelle, in das Bild einzufügen.
(Henning Mankell im Vorwort zu „Wallanders erster Fall“)

Seine Ankündigung, mehr über Kurt Wallanders Charakter oder die Ereignisse, die ihn geprägt haben, zu verraten, erfüllt Henning Mankell allerdings nicht. Meilensteine im Privatleben des Kommissars wie die Eheschließung, die Geburt seiner Tochter Linda oder die Scheidung von Mona werden lediglich kurz erwähnt. Über Kurt Wallanders ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater erfahren wir nicht mehr als aus den acht Romanen; Erklärungen liefert Henning Mankell nicht. Dazu kommt, dass Kurt Wallander mit einundzwanzig schon genau derselbe Melancholiker zu sein scheint wie mit fünfzig. Eine Entwicklung ist nicht erkennbar. Woher kommen seine Scheu vor engen Beziehungen mit anderen Menschen oder sein Hang zum Einzelgänger? Wir erfahren es nicht.

Wie es die Leserinnen und Leser der Romanserie über Kurt Wallander gewohnt sind, verknüpft Henning Mankell auch in den fünf Erzählungen Kriminalfälle mit Kurt Wallanders Privatleben und der Frage nach bedenklichen gesellschaftlichen Tendenzen.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 / 2007
Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag

Henning Mankell (Kurzbiografie)

Henning Mankell: Der Sandmaler
Henning Mankell: Mörder ohne Gesicht (Verfilmung)
Henning Mankell: Hunde von Riga (Verfilmung)
Henning Mankell: Die weiße Löwin (Verfilmung)
Henning Mankell: Der Mann, der lächelte (Verfilmung)
Henning Mankell: Die falsche Fährte (Verfilmung)
Henning Mankell: Die fünfte Frau (Verfilmung)
Henning Mankell: Mittsommermord (Verfilmung)
Henning Mankell: Die Brandmauer (Verfilmung)
Henning Mankell: Wallanders erster Fall
Henning Mankell: Der Mann mit der Maske
Henning Mankell: Der Mann am Strand
Henning Mankell: Der Tod des Fotografen
Henning Mankell: Die Pyramide (Verfilmung)
Henning Mankell: Der Chronist der Winde
Henning Mankell: Die rote Antilope
Henning Mankell: Die Rückkehr des Tanzlehrers (Verfilmung)
Henning Mankell: Kennedys Hirn (Verfilmung)
Henning Mankell: Die italienischen Schuhe
Henning Mankell: Der Chinese (Verfilmung)
Henning Mankell: Der Feind im Schatten
Henning Mankell: Erinnerung an einen schmutzigen Engel

François Lelord - Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück
"Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück" steht in der Tradition von "Der kleine Prinz" und "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran". François Lelord gerät zwar mindestens in die Nähe zum Kitsch, aber sein Roman ist auch poetisch, anrührend und erbaulich.
Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück

 

(Startseite)

 

Nobelpreis für Literatur

 

Literaturagenturen

 

Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.