Henning Mankell : Der Mann am Strand
Inhaltsangabe
Kritik
Ystad, 26. April 1987. Kurt Wallander wohnt inzwischen seit vierzehn Jahren in einer Dreizimmerwohnung in Ystad. Mona ist mit Linda, die gerade das Gymnasium abgebrochen hatte, überraschend auf die kanarischen Inseln geflogen.
Als er gerade etwas fürs Abendessen kaufen möchte, ruft ihn sein Kollege Hansson an: Ein Taxifahrer hat einen Fahrgast ins Krankenhaus gebracht, der beim Einsteigen in Svarte noch völlig gesund zu sein schien und bei der Ankunft vor seinem Hotel in Ystad eine Viertelstunde später tot war.
Göran Alexandersson, so heißt der Tote, war neunundvierzig, wohnte in Stockholm und besaß zwei Elektronikgeschäfte. Vor sechs Jahren ließen er und seine Frau sich scheiden. Ihr Sohn Bengt wurde vor sieben Jahren als Achtzehnjähriger mitten in Stockholm auf der Straße erschlagen. Der Mordfall ist unaufgeklärt geblieben. Seit vier Tagen war Göran Alexandersson in Ystad. Morgens nahm er ein Taxi nach Svarte, ging dort offenbar am Strand spazieren und ließ sich nachmittags wieder zurückbringen.
Zunächst nimmt die Polizei an, dass er einem Herzinfarkt erlag, aber das gerichtsmedizinische Institut stellt bei der Obduktion der Leiche fest, dass der Unternehmer an einer seltenen, nur Fachleuten bekannten Giftmischung starb. Handelte es sich um einen Suizid? Wohl kaum, denn ein Selbstmörder bestellt sich kein Taxi.
Kurt Wallander fährt nach Svarte und geht wie Göran Alexandersson am Strand spazieren. Dabei begegnet ihm nur ein Mann, der seinen Hund ausführt. Er heißt Martin Stenholm, war zweiundzwanzig Jahre lang Amtsarzt in Nynäshamn und wohnt seit seiner Pensionierung mit seiner Ehefrau Kajsa, einer pensionierten Staatsanwältin, in Svarte. Als Kurt Wallander sie befragen möchte, erklärt Dr. Stenholm, sie liege todkrank im Schlafzimmer und brauche Ruhe.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Stenholm behauptet zwar, nie einen Fremden am Strand gesehen zu haben, aber der Kommissar hat irgendwie den Eindruck, dass er lügt. Gibt es eine Verbindung zwischen ihm und dem Toten? Durch Per Åkeson, einen befreundeten Staatsanwalt, findet Kurt Wallander heraus, dass Kajsa Stenholm vom 10. März bis 9. Oktober 1980 vertretungsweise als Staatsanwältin in Stockholm tätig gewesen war und in dieser Zeit ergebnislos die Voruntersuchung im Mordfall Bengt Alexandersson geleitet hatte.
Mit einem Hausdurchsuchungsbefehl erscheint er am 7. Mai erneut bei Martin Stenholm in Svarte und sagt dem pensionierten Arzt auf den Kopf zu, er habe Göran Alexandersson getötet.
„Nach Ihrer Pensionierung ziehen Sie von Nynäshamn hier herunter nach Schonen“, sagte er langsam. „In eine kleine, anonyme Gemeinde mit Namen Svarte. Sie stehen nicht einmal im Telefonbuch, denn Ihre Nummer ist geheim. Natürlich kann der Grund dafür sein, dass Sie im Alter ungestört und anonym sein wollen. Aber vielleicht kann man sich auch eine andere Möglichkeit denken. Dass Sie in aller Heimlichkeit wegziehen, um etwas oder jemanden loszuwerden. Vielleicht einen Mann, der es nicht versteht, warum eine Staatsanwältin nicht mehr Mühe darauf verwendet, den sinnlosen Mord an seinem einzigen Kind aufzuklären. Sie ziehen fort, doch er findet Sie. Wie ihm das gelingt, werden wir wohl nie erfahren. Plötzlich steht er hier draußen am Strand. Sie begegnen ihm eines Tages, als Sie mit dem Hund gehen. Es ist natürlich ein schwerer Schock. Er wiederholt seine Anklagen. Vielleicht stößt er sogar Drohungen aus. Im Obergeschoss liegt Ihre schwer kranke Frau. […] Der Mann am Strand kommt Tag auf Tag wieder. Er lässt nicht locker. Sie sehen keine Möglichkeit, ihn loszuwerden. Sie sehen überhaupt keinen Ausweg. Da bitten Sie ihn ins Haus. Wahrscheinlich versprechen Sie ihm, dass er mit Ihrer Frau sprechen kann. Sie geben ihm Gift, vielleicht in einer Tasse Kaffee. Dann bitten Sie ihn plötzlich, am nächsten Tag wiederzukommen. Ihre Frau hat starke Schmerzen, oder vielleicht schläft sie. Aber Sie wissen, er wird nie wiederkommen. Das Problem ist gelöst. Göran Alexandersson wird an etwas sterben, das aussieht wie ein Herzinfarkt.“ (182f)
Martin Stenholm gesteht den Mord an dem Mann, der ihn und seine Frau sieben Jahre lang rücksichtslos verfolgt hatte. Dann fordert er den Kommissar auf, zu seiner Frau hinaufzugehen. Kajsa Stenholm liegt tot in ihrem Bett. Stenholm hat plötzlich eine Pistole in der Hand und erschießt sich.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Die fünf in dem Band „Wallanders erster Fall“ zusammengefassten Erzählungen bilden einen Prolog zu der Kriminalroman-Reihe, die Henning Mankell über den Protagonisten Kurt Wallander geschrieben hat: „Mörder ohne Gesicht“ (1991), „Hunde von Riga“ (1992), „Die weiße Löwin“ (1993), „Der Mann, der lächelte“ (1994), „Die falsche Fährte“ (1995), „Die fünfte Frau“ (1996), „Mittsommermord“ (1997), „Die Brandmauer“ (1998). „Wallanders erster Fall“ wurde jedoch erst 1999 – also nach den Romanen – veröffentlicht, um nachträglich die Vorgeschichte der Hauptfigur zu beleuchten.
Was war mit Wallander, bevor die Romanserie beginnt? Also, um Datum und Uhrzeit genau zu bestimmen, vor dem frühen Morgen des 8. Januar 1990. Was war, bevor Wallander an jenem winterlichen Morgen erwacht und der Fall Mörder ohne Gesicht beginnt? Wer war dieser Wallander? In den einzelnen Bänden der Serie finden sich immer wieder Andeutungen. Doch Genaues erfährt man nicht. Wallander kehrt in Gedanken ständig zu dem Tag zurück, an dem er als junger Polizist von einem Messerstecher überfallen wurde, ein Erlebnis, das sein ganzes Leben geprägt hat.
Die vielen brieflichen Anfragen hatten zur folge, dass ich selbst anfing, darüber nachzudenken […]
Wallander ist für viele ein lebendiger Mensch geworden […] Auch wenn alle im Innersten natürlich wissen, dass er nur in der Vorstellung existiert. Aber er hat trotzdem eine Vergangenheit. Er war einmal jung. In diesen Erzählungen versuche ich, einige der frühesten Teile seines Lebens, so wie ich sie mir vorstelle, in das Bild einzufügen.
(Henning Mankell im Vorwort zu „Wallanders erster Fall“)
Seine Ankündigung, mehr über Kurt Wallanders Charakter oder die Ereignisse, die ihn geprägt haben, zu verraten, erfüllt Henning Mankell allerdings nicht. Meilensteine im Privatleben des Kommissars wie die Eheschließung, die Geburt seiner Tochter Linda oder die Scheidung von Mona werden lediglich kurz erwähnt. Über Kurt Wallanders ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater erfahren wir nicht mehr als aus den acht Romanen; Erklärungen liefert Henning Mankell nicht. Dazu kommt, dass Kurt Wallander mit einundzwanzig schon genau derselbe Melancholiker zu sein scheint wie mit fünfzig. Eine Entwicklung ist nicht erkennbar. Woher kommen seine Scheu vor engen Beziehungen mit anderen Menschen oder sein Hang zum Einzelgänger? Wir erfahren es nicht.
Wie es die Leserinnen und Leser der Romanserie über Kurt Wallander gewohnt sind, verknüpft Henning Mankell auch in den fünf Erzählungen Kriminalfälle mit Kurt Wallanders Privatleben und der Frage nach bedenklichen gesellschaftlichen Tendenzen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag
Die Seitenangaben beziehen sich auf die dtv-Ausgabe.
Henning Mankell (Kurzbiografie)
Henning Mankell: Der Sandmaler
Henning Mankell: Mörder ohne Gesicht (Verfilmung)
Henning Mankell: Hunde von Riga (Verfilmung)
Henning Mankell: Die weiße Löwin (Verfilmung)
Henning Mankell: Der Mann, der lächelte (Verfilmung)
Henning Mankell: Die falsche Fährte (Verfilmung)
Henning Mankell: Die fünfte Frau (Verfilmung)
Henning Mankell: Mittsommermord (Verfilmung)
Henning Mankell: Die Brandmauer (Verfilmung)
Henning Mankell: Wallanders erster Fall
Henning Mankell: Der Mann mit der Maske
Henning Mankell: Der Mann am Strand
Henning Mankell: Der Tod des Fotografen
Henning Mankell: Die Pyramide (Verfilmung)
Henning Mankell: Der Chronist der Winde
Henning Mankell: Die rote Antilope
Henning Mankell: Die Rückkehr des Tanzlehrers (Verfilmung)
Henning Mankell: Kennedys Hirn (Verfilmung)
Henning Mankell: Die italienischen Schuhe
Henning Mankell: Der Chinese (Verfilmung)
Henning Mankell: Der Feind im Schatten
Henning Mankell: Erinnerung an einen schmutzigen Engel