Richard Ford : Valentinstag

Valentinstag
Be Mine HarperCollins, New York 2023 Valentinstag Übersetzung: Frank Heibert Hanser Berlin, Berlin 2023 ISBN 978-3-446-27732-8, 383 Seiten ISBN 978-3-446-27890-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nachdem bei dem 47-jährigen Paul Bascombe ALS diagnostiziert wurde, bringt ihn sein Vater Frank zunächst in die Mayo Clinic in Rochester/Minnesota und fährt dann mit dem Todgeweihten nach Rapid City/South Dakota, wo sie am Valentinstag das Mount Rushmore National Memorial besichtigen.
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Kritik

"Valentinstag" dreht sich um eine Vater-Sohn-Beziehung und lässt sich auch als Gesellschaftsroman lesen, denn Richard Ford wirft aus der Perspektive von Frank Bascombe Schlaglichter auf das Leben in den USA unter Trumps Präsidentschaft. Handlungsgetrieben ist der Roman eher nicht.
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Die Diagnose

Frank Bascombe ist 74 Jahre alt. (Geboren wurde er 1945.) Sein Immobilienunternehmen in Haddam/New Jersey verkaufte er 2008 seinem aus Tibet stammenden damaligen Mitarbeiter Mike Mahoney, und seit eineinhalb Jahren arbeitet er für ihn in Teilzeit.

Sally Caldwell, seine zweite Ehefrau, verließ ihn vor einigen Jahren, um sich als Trauerbegleiterin in fernen Ländern zu engagieren.

Ann Dykstra, seine von ihm geschiedene erste Ehefrau, starb vor zwei Jahren. Als er im Herbst 2019 dabei ist, ihren letzten Wunsch zu erfüllen und ihre Asche auf dem Grab des 1979 im Alter von neun Jahren am Reye-Syndrom gestorbenen gemeinsamen Sohnes Ralph in Marquette/Michigan verstreut, erhält er einen Anruf der Tochter Clarissa.

Die 45-Jährige wohnt mit ihrer Lebensgefährtin Cookie Lippincott in Scottsdale/Arizona und betreibt mit ihr eine Kette von Hundepensionen. Clarissa fragt ihren Vater, ob ihm die Symptome ihres Bruders Paul nicht aufgefallen seien und informiert ihn darüber, dass bei dem 47-Jährigen Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) bzw. das Lou-Gehrig-Syndrom diagnostiziert wurde.

Paul Bascombe war bereits als Jugendlicher in psychiatrischer Behandlung. Er versuchte sich erfolglos als Bauchredner, und seit einiger Zeit arbeitet er in der Human-Resources-Logistik eines Theologieseminars in Haddam. Paul lebt allein. Vor einiger Zeit, als Clarissa und Cookie gerade mit Freundinnen auf einer Yacht waren, klagte er am Telefon über beunruhigende Symptome. Greta, eine Neurologin, rief noch von der Yacht aus ihren Kollegen Dr. Bendo an, der bei Paul ALS diagnostizierte, eine degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems, die nicht heilbar ist und mit dem Tod endet.

Vom Flughafen in Detroit ruft Frank Bascombe die Gynäkologin Dr. Catherine Flaherty an und bittet sie um Unterstützung für Paul. Ihre Wege kreuzten sich 1983. Damals war Catherine 22. Seither sind sie befreundet. Die Ärztin, die kürzlich aus Altersgründen ihre leitende Stelle am Scripps Memorial Hospital im Stadtteil La Jolla in San Diego/Kalifornien aufgab, setzt sich mit ihrem bisherigen Kollegen Dr. Karl Pomfret in Verbindung, und der ruft Frank Bascombe an, als dieser wieder zurück in Haddam ist. Ob er seinen Sohn in die Mayo-Klinik in Rochester/Minnesota bringen könne, fragt er. Dort beginnt gerade eine Medikamentenstudie, die dem ALS-Kranken helfen könnte.

Frank Bascombe bringt seinen Sohn nach Rochester. Während Paul an der Medikamentenstudie in der Mayo-Klinik teilnimmt, genießt sein Vater das Zusammensein mit der 34-jährigen Vietnamesin Betty Duong Tran, die ihr Business-Studium als Masseuse finanziert.

Aufbruch

Nach sieben Wochen in Rochester überredet Frank seinen Sohn, die Teilnahme an der Studie abzubrechen. Er mietet bei Pete und Krista Engvall einen auf den Namen „Warmer Wind“ getauften Wohnwagen, lässt seinen PKW stehen und macht sich mit Paul auf den Weg zum Mount Rushmore, wo er 1954 mit seinen Eltern war.

Damals besuchten sie auch den berühmten Maispalast in Mitchell/South Dakota, und das tut er nun auch mit seinem Sohn. Türstopper, Flaschenöffner, Schlüsselanhänger – alle Souvenirs werden in Form von Maiskolben angeboten. Paul amüsiert sich über die Sinnlosigkeit dessen, was er sieht und ist seinem Vater dankbar für das Erlebnis.

Der möchte in dem von Indigenen betriebenen komfortablen Casino Fawning Buffalo bei Wall essen und übernachten, aber Paul drängt zur Weiterfahrt.

Clarissa ruft an. Sie macht sich Sorgen und versucht den Vater zu überreden, ohne Umwege mit Paul zu ihr nach Scottsdale zu kommen, damit sie sich um ihren Bruder kümmern kann. Cookies Vater würde seinen Privatjet zur Verfügung stellen.

Aber Paul und Frank wollen erst noch zum Mount Rushmore.

Ankunft

In Rapid City/South Dakota stellt sich heraus, dass alle Hotels wegen eines Rhetorik-Wettbewerbs der öffentlichen Highschools ausgebucht sind. Jeff Hansen von der Rezeption des Hilton Homewood ruft seinen Onkel Harald an und vermittelt den beiden Gestrandeten eine Unterkunft in dessen Motel „The Four Presidents Courts“ außerhalb der Stadt. Das Quartier ist zwar heruntergekommen, aber teurer als im Fawning Buffalo.

Am nächsten Tag – es ist der Valentinstag 2020 – fahren Frank und Paul zum Rushmore Campus. An diesem Tag wird für das Mount Rushmore National Memorial in den Black Hills kein Eintritt verlangt. Frank kommen die Köpfe der vier Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln kleiner als in seiner Erinnerung vor.

„Das ist toll. Ich liebe es“, sagt Paul Bascombe […]. Er reckt sich auf dem Rollstuhl nach vorn, befingert seinen silbernen Ohrstecker, die Augen, gemeinsam mit allen anderen, fasziniert auf die vier Gesichter gerichtet. […] Keiner dieser Kandidaten würde heute gewählt werden – Sklavenhalter, Frauenhasser, Homophobe, Kriegstreiber, historische Schlaumeier, die sich alle viel zu sicher gefühlt haben.
Trotzdem. Ich kann es nicht richtig fassen, dass ich diesen unwahrscheinlichsten aller Augenblicke zustande gebracht habe und jetzt stehe, wo ich stehe – mit meinem Sohn.
[…] bedaure ich, dass ich uns hier hochgebracht habe? Nicht wenn es ihm gefällt. Ich kann mich dran gewöhnen.

„Weißt du, warum es so toll ist, Lawrence? [Paul spricht seinen Vater Frank mit „Lawrence“ an.] Warum ich dir niemals genug werde danken können?“ Paul räuspert sich mit einem gutturalen Kreuchz wie ein alter Kauz, dann legt er den Kopf schief. Was seine Knie zum Erschauern bringt. Alles, was gerade passiert, hat ihn natürlich nicht wieder gesund gemacht.
„Sag’s mir.“
„Es ist komplett sinnlos und lächerlich, und es ist super.“ Seine Augen flattern und glänzen. „Es gibt nicht genug absichtlich stupide Dinge auf der Welt.“ Er lächelt glückselig, als hätte er gerade etwas außerordentlich Überraschendes entdeckt. Eine Bestätigung. Ich bin schlicht glücklich, weil ich annehmen kann, wir sehen ein einziges Mal etwas gleich – mehr oder weniger. Es ist sinnlos, und es ist stupide. Es mag ihn nicht heilen, das zu sehen, aber ein bisschen vielleicht doch. „Wir sind verbunden“, sagt Paul schlau, immer noch lächelnd, und schaut ganz bewusst zu den Präsidenten. Ich bin sein Lieblings-Arschloch.

Epilog

Monatelang wohnen Paul und Frank in Scottsdale/Arizona, wo Clarissa sich um ihren Bruder kümmert. Paul stirbt am 19. September 2020 in einer Klinik – nicht an ALS, sondern an COVID-19.

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Der Roman „Valentinstag“ von Richard Ford dreht sich um eine Vater-Sohn-Beziehung. Nachdem bei dem 47-jährigen Paul Bascombe ALS diagnostiziert wurde, bringt ihn sein Vater Frank zunächst in die Mayo Clinic in Rochester/Minnesota und fährt dann mit dem Todgeweihten nach Rapid City/South Dakota, wo sie am Valentinstag das Mount Rushmore National Memorial besichtigen.

„Valentinstag“ lässt sich aber auch als Gesellschaftsroman lesen, denn Richard Ford wirft Schlaglichter auf das Leben in den USA unter Trumps Präsidentschaft. „Make America Great Again!“ Die Ideale der Republikaner haben ausgedient. Das Leistungsprinzip gilt nicht mehr, und man verabscheut die vermeintlichen Eliten. Einfache Parolen und Fake News ersetzen die differenzierte Analyse der Gegebenheiten und Herausforderungen. Die Gesellschaft ist tief gespalten, und die Parteien stehen sich hasserfüllt gegenüber.

Frank Bascombe gehört nicht zu den Akteuren, aber er beobachtet, was um ihn herum geschieht und kommentiert es mitunter zynisch. Aus der Perspektive dieses 74-jährigen Mannes stellt Richard Ford alles dar, was in seinem Roman „Valentinstag“ geschieht. Dabei lässt er sich sehr viel Zeit und hält sich mit vielen Details auf. Handlungsgetrieben ist „Valentinstag“ eher nicht.

Die Figur Frank Bascombe kennen wir bereits aus vier früheren Romanen von Richard Ford: „Der Sportreporter“, „Unabhängigkeitstag“, „Die Lage des Landes“ und „Frank“.

Den Roman Valentinstag von Richard Ford gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Christian Brückner.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Hanser Berlin

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